Die Geschichte der Zauberkunst

von Dr. Kurt Volkmann

Diese, bis heute in deutscher Sprache einmalige, Arbeit erschien in insgesamt 104 Fortsetzungen in der Magie, beginnend im Septemberheft 1939.

Das Heraussammeln der einzelnen Folgen aus den alten Heften ist mühsam, zumal man die Exemplare ja auch erst einmal haben muss.

Wir wollen die einzelnen Kapitel dieses Werkes nach und nach hier veröffentlichen und damit einen Überblick über die Historie der Magie anbieten.

Vorerst halten wir uns an den Originaltext. Der Leser sollte sich also darüber im Klaren sein, dass diese Ausführungen fast achtzig Jahre alt sind und natürlich dem Kenntnisstand ihrer Entstehungszeit entsprechen.

Sicherlich werden unsere sachkundigen Mitglieder die ursprünglichen Informationen im Laufe der Zeit durch kritische und modernisierte Anmerkungen und Forschungsergebnisse erweitern und korrigieren.

Magie 7/1958

Am 27. September 1897 wurde Kurt (Karl Oskar) Volkmann in Kassel als Sohn des Ingenieurs Max Volkmann geboren.

1915 legte er auf dem Kaiser-Wilhelm-Gymnasium in Hannover sein Abitur ab und begann 1920 (nach seinem Militärdienst) das Jura-Studium in Tübingen, Halle/Saale und Göttingen, wo er 1923 promovierte.

Ab 1928 hatte er eine eigene Kanzlei in Düsseldorf. In diesem Jahr trat er, der sich bereits als Schüler mit der Zauberkunst beschäftigt hatte,  auch dem Magischen Zirkel von Deutschland bei.

Er schrieb zahlreiche Artikel zur Geschichte der Zauberkunst, übernahm 1951 die Schriftleitung der Magie und wurde 1952 zum Präsidenten gewählt. Beide Ämter hatte er bis zu seinem Tod – am 8. Mai 1958 in Kettwig – inne.

Quellen: Wikipediazauber-pediaMagicPedia

Natürliche Zauberkunst und Magie

Je mehr in unserer heutigen Welt der Verstand den Platz einnimmt, der früher der Einbildungskraft und dem Glauben zukam, um so größer wird die Kluft zwischen Mensch und Natur. Die Zusammenhänge zwischen beiden werden nicht mehr erlebt, sondern begrifflich erfasst. Der Mensch tritt der Natur gegenüber, deren Gesetze auf ihrer eigenen Ebene liegen.

Der ursprüngliche Mensch wendet sich mit aller Kraft gegen den Gedanken, daß die Welt anderen als menschlichen Gesetzen unterworfen sein könne. Sobald er fühlt, daß der Ablauf der Geschehnisse seinen Anschauungen nicht entspricht, erwacht der Drang, die Natur in Bann zu schlagen. Selbst der verstandesklarste Mensch, der nur das mathematisch Beweisbare anerkennt, wünscht in seinen Träumen und unbewachten Augenblicken, zaubern zu können. Er möchte der Natur und des Schicksals Herr sein, alle Zusammenhänge der Welt entdecken. Diese Sehnsucht bildet die Grundlage für die Bewunderung aller menschlichen Handlungen, deren Erklärung sich dem Satz vom Grunde und den Denkgesetzen entzieht.

Das Wort Magie geht auf Zoroaster zurück, dem der Titel Magus beigelegt wurde, eine Bezeichnung, die dann auf seine Schüler überging. Plato erwähnt im Alcibiades das Wort magia als die geheime Wissenschaft Zoroasters. Magie galt im persischen als Ausdruck vollkommener Weisheit. Im Mittelalter unterschied man natürliche, künstliche und teuflische Magie. Wir werden darauf noch zu sprechen kommen. In neuerer Zeit sind Versuche aufgetaucht, die Magie als wissenschaftlichen Begriff zu fassen.(1) Aber mir scheint das müßig und fragwürdig. Magie ist kein Zweig der eigentlichen Wissenschaften, sondern umschreibt eine geistige Haltung. Die magische Einstellung äußert sich in unendlichen Formen, in der Sterndeutung, der Wahrsagekunst, der Goldmacherei, dem Vertreiben von Geistern, Hexen, Dämonen, der Heilung von Krankheiten, der Beeinflussung des Wetters, dem Suchen von Schätzen, der Bannung von Feinden, der Herbeirufung Verstorbener. Die Magie entstammt dem ursprünglichen Trieb, der Natur beizukommen, dem Wunsch, sie zu lenken oder wenigstens ihre Geschehnisse vorher zu wissen, dem Bedürfnis, das Wirken vorgestellter Mächte zu beeinflussen. Zum Teil entspringt sie höchst weltlichen Sehnsüchten: Erwerb von Reichtum, Besiegung des Todes, Beherrschung von Raum und Zeit.

Verständlich wird die Magie nur im Zusammenhang mit einer seelischen Einstellung, die uns heute fremd ist. Dort, wo der Verstand das Übergewicht über die Kräfte der Einbildung besitzt, ist für Magie keine Raum. Aber diese Welt wird, soweit wir nur mit Mitteln des Verstandes an sie herantreten, ewig unheimlich, kalt und unverstanden bleiben. Darin liegt die großartige Macht, die die Magie immer wieder auf die Menschen ausgeübt hat. In dem Augenblick, wo der Mensch ohne Rücksicht auf Verstand und Erfahrung ein Weltbild erschafft, das ihn zum Herrn der Natur macht, ist er dem Halbgott gleich. Was ficht es ihn an, dass ihm viele Einzelheiten Unrecht geben? Er greift nur diejenigen heraus, die seine Anschauungen unterstützen. So ist die Magie eine echte Schöpfung menschlicher Einbildung. So aber ist Magie auch ein Vorgang, der mit den kultischen Handlungen und Glaubensvorstellungen verwandt ist. Sie bezieht den Menschen in die ewig fragwürdige Natur ein. Sie bringt Seele und Außenwelt in eine befriedigende Gleichung.

Die Anfänge der Magie greifen bis in das Dunkel der Vorzeit zurück. Ihre älteste Form dürfte im Bilderzauber der vorgeschichtlichen Menschen zu suchen sein. Die Vorstellung, dass das, was einem Bilde zugefügt wird, die dargestellte Person selbst trifft, hat sich mit eigentümlicher Zähigkeit bis auf unsere Tage erhalten. Der Wunderglaube und die Versuche der Naturbeherrschung durch die Magie zeigen sich bei den ursprünglichen Völkern besonders stark. Bei den Ägyptern, Chaldäern und Griechen ist die Sterndeutung, die Kunst der Weissagung, die Beeinflussung des Schicksals, der Geister oder Götter durch kultische Handlungen als sinnvolle Pflicht der Priester und Könige empfunden worden. Diese geistige Einstellung hat trotz aller Schwächen ein Weltbild erzeugt, wo Natur und Menschengeist, Zufall und Schicksal sich zu einer großartigen Einheit zusammenschließen.(2)

Während die Magie dem Herrschafts- und Erkenntnistriebe entspringt, gründet sich die natürliche Zauberkunst auf den Spieltrieb. Jene will die Natur lenken, diese sie ausnutzen. Die Freude an der natürlichen Zauberkunst hat nicht minder tiefe Wurzeln, als die Sinne nicht voll verlässlich sind, dass die Erfahrung sich als trügerisch erweist, dass dem unbarmherzigen Gesetz von Ursache und Wirkung ein Schnippchen geschlagen wird. Man fühlt sich wieder in das Reich der Kindheit versetzt, wo die Einbildungskraft den Vorrang vor dem Verstand hat, wo der Satz vom Grunde nicht gilt, wo freundliche Kobolde den grauen Alltag zur Zauberwiese des Märchenlandes machen.

Die natürliche Zauberkunst hat sich von vornherein in zwei Richtungen, die sich weniger in ihren Mitteln, als in ihrem Zweck unterscheiden, entwickelt. Die eine suchte die Unterhaltung der Zuschauer zu bewirken, die andere ihre Ehrfurcht zu erregen. Die eine wurde von den Gauklern und Taschenspielern, die andere von den Priestern und Magiern ausgeübt. Beide suchten die Sinne der Zuschauer zu täuschen. Natürlich sind darum die Priester und Zauberer noch keine Trüger. Denn die natürliche Zauberkunst dieser Personen ist bis in das Mittelalter mit der schwarzen Magie eng verknüpft. Sie glaubten tatsächlich, die Natur mit magischen Formeln und Handlungen beeinflussen zu können und sie wandten die natürliche Zauberkunst hauptsächlich an, um ihren Beschwörungen Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Magie befriedigt auf die Dauer nicht, wenn sie um ihrer selbst willen betrieben wird. Die sozialen Instinkte, Machttrieb, Mitteilungsbedürfnis veranlassen die Anhänger der Magie, eine Übertragung ihrer persönlichen Erlebnisse und Überzeugungen auf andere zu versuchen. Wer gewiss ist, dass die Sterne das Menschendasein beherrschen, der will nicht nur sich selbst, sondern auch anderen das Horoskop stellen. Wer das Walten der Geister gespürt hat, der will auch anderen sein Erlebnis teilhaftig werden lassen. Die Übertragungsmöglichkeit derartiger Bewusstseinsinhalte ist aber gering, weil den meisten Menschen die Anlagen fehlen, deren es zu ihrem Verstehen bedarf. Hier setzt dann der Kampf des magisch veranlagten Menschen mit der verständnislosen Umwelt ein, und in diesem Ringen ist bis auf unsere Tage zur Taschenspielerei Zuflucht genommen worden. Wir alle wünschen, dass das, was wir mit Überzeugung vornehmen, auch geglaubt werde. Wo wir dem Nachdruck verleihen können, greifen wir zu, ohne uns bewusst zu werden, wie weit die Grenze der erlaubten Kunstgriffe liegt.

Schon im frühen Mittelalter, als die Magie im wesentlichen Alchymie, Mantik, Astrologie ist, schießen Fäden zur Taschenspielerei herüber. Vor allem aber bilden die frühen Versuche eines Roger Bacon, Robert Greathead, Albertus Magnus die Grundsteine, auf denen sich die spätere Magia Naturalis aufbaut. Die natürliche Magie, die mit della Portas Schriften zum ersten Male deutlicher in die Erscheinung tritt, ist die Vorläuferin der unterhaltenden Physik und der Zauberkunst in ihrem heutigen Gewande. Denn Zauberkunst ist ja nicht nur reine Handfertigkeit, sondern daneben auch angewandte Physik, Mechanik und Chemie. So bei den Kunststücken mit Geräten und den heute so beliebten großen Bühnendarbietungen. Nun ist allerdings auch die natürliche Magie ein weites Feld, wo man neben dem Becherspiel, dem Paracelsuskunststück und dem Kartensteiger, Schönheitsmittel, Arnzeien, Küchenanweisungen, Ratschläge für die Feldbestellung findet. Diese komischen und dunklen Künste müssen natürlich ausscheiden. Jedenfalls ist unsere heutige Zauberkunst auch von der Magia naturalis beeinflusst.

Die Beziehungen zwischen Zauberkunst und Magie zeigen den Menschen in seinen Höhen und Tiefen, in seinem ewig kindlichen Hang zum Wunderbaren, zum Geheimnisvollen, zum Rätselhaften. In dem Augenblick, wo diese Erde aller Geheimnisse preis ist, wäre der Mensch dem Tiere gleich, das das Wunder nicht kennt. Die eigenartige Verflechtung der Zauberkunst mit dem Spieltrieb und der Sehnsucht nach dem Unbegreiflichen spiegelt die großen Zusammenhänge zwischen Natur und menschlichem Herrschaftsbedürfnis, zwischen Erkenntnissen und Afterwissenschaft, zwischen Glauben und Aberglauben wieder.


  1. Lehmann, A.: Aberglaube und Zauberei, 3. Aufl. , Stuttgart 1925, S. 8: „Magie ist jede Handlung, die eine Beeinflussung entweder er übersinnlichen oder der sinnlichen Welt bezweckt, aber weder zu den Kultushandlungen, noch zu den technischen Operationen gerechnet werden kann.”
  2. Vgl. hierzu: Ennemoser, Joseph: Geschichte der Magie, Leipzig 1844; Levi, Eliphas: Histoire de la magie, Paris 1860; Kiesewetter, Karl: Der Okkultismus des Altertums, Leipzig 1896; Lang, A.: Magic and religion, London 1901; Wundt, Wilh. Völkerpsychologie, Bd. 4-6, Leipzig 1910-15; Lehmann, Alfred: Aberglaube und Zauberei, 3. Aufl., Stuttgart, 1925.
Papyrus Westcar, Quelle: Wikimedia

Bei seinen Studien in England erhielt der Ägyptenforscher Lepsius im Jahre 1839 von einer Miss Westcar einen Papyrus zum Geschenk. Sie war eine Sammlerin von Seltsamkeiten und hatte den Papyrus eine Zeitlang in der Bodleian Library in Oxford ausgestellt. Da aber niemand den Wortlaut entziffern konnte, so fand er keine Beachtung. Die Engländerin gab ihn dem dafür begeisterten Lepsius, von dem ihn wiederum im Jahre 1886 die Berliner Museen erwarben. Heute wird er im Neuen Museum aufbewahrt. Adolf Erman hat ihn ausgedeutet(1).

Der Papyros, der etwa 1500 v. d. Z. niedergeschrieben ist, enthält eine Erzählung vor König Chufu oder Cheops (etwa 3700 v. d. Z.), dem Erbauer der großen Pyramide von Gizeh. Chufu befahl seinen Söhnen, ihm Wundergeschichten zu erzahlen. Sie trugen ihm vier Fälle von Zauberkunst aus Vorväterzeiten vor, die wenig glaubwürdig klingen. Um dem König aber, soweit er an diesen alten Geschichten Zweifel hegte, auch ein Beispiel von Zauberkunst seiner Zeit zu geben, wollte ihm Prinz Hardadaf einen noch lebenden Zauberer vorstellen, der selbst Wunder verrichten werde.

Der König fragt: „Wer ist das, Hardadaf?” Hardadaf antwortete: „Es ist das ein Bürger namens Dedi, der in Ded-Snefru wohnhaft ist. Er ist 110 Jahre alt und bis auf den heutigen Tag isst er 500 Brote und an Fleisch eine Rinderkeule und trinkt hundert Krüge Bier. Er versteht es, einen abgeschnittenen Kopf wieder anzusetzen; er versteht es zu machen, dass ein Löwe ihm folgt, während sein Strick auf der Erde schleift.” Der König wünschte Dedi zu sehen und Hardadaf holte ihn herbei.

Der König fragte: „Was soll das, Dedi, dass ich dich nie gesehen habe?” Dedi antwortete: „Nur wer gerufen wird, kommt; wie mich der König gerufen hat, bin ich gekommen.” Der König fragte: „Ist es wahr, was man behauptet, du verständest es, einen abgeschnittenen Kopf aufzusetzen?” Dedi antwortete: „Jawohl, ich verstehe es, o König, mein Herr.” Der König sagte: „So bringe man mir einen Gefangenen aus dem· Gefängnis, dass seine Strafe vollzogen werde.” Dedi aber erklärte: „Doch nicht an einem Menschen, o König, mein Herr; vielleicht befiehlt man, solches an einem trefflichen Tiere zu tun.” Da brachte man ihm eine Gans, schnitt ihr den Kopf ab und legte die Gans auf die westliche Seite der Halle und ihren Kopf auf die östliche Seite der Halle. Dedi sagte etwas als Zauber und die Gans stand da und watschelte und ebenso ihr Kopf. Als dann ein Stück zum anderen gelangt war, stand die Gans da und gackerte. Er Ließ ihm einen Chet-o-Vogel bringen und es geschah ihm ebenso. Endlich wurde ein Ochse gebracht und man schlug ihm den Kopf ab. Dedi sagte etwas als Zauber und der Ochse stand da. Der König ließ einen Löwen herbeiführen. Dedi sagte etwas als Zauber und der Löwe ging folgsam hinter ihm, indem sein Strick zur Erde fiel.”

Man hat begreiflicherweise in dieser Erzählung den ersten Bericht über eine Zaubervorstellung gesehen. Das Zauberkunststück, das Dedi vorgeführt habe, sei eine Art Köpfen und Wiederbelebung eines Vogels gewesen, wie es im 17. und 18. Jahrhundert gerne gezeigt wurde. Das Kunststück wird auf der Bühne mit zwei gleichen Tieren ausgeführt, von denen eins sich innerhalb einer Versenkung des Tisches befindet, auf den der vorher gezeigte Vogel gelegt wird. Dem im Tisch befindlichen Vogel wird der Hals hervorgezogen und abgeschnitten, während dem darüber befindlichen der Kopf unter den Flügel gedreht wird. Später wird dieser Kopf wieder hervorgeholt, so dass das Tier nunmehr zu leben scheint. Dedi soll etwas ganz anderes gemacht haben: Dem Vogel wurde der Kopf abgeschnitten  – möglicherweise nicht einmal von Dedi selbst, sondern von dritten Personen –, der Kopf wurde vom Körper weit abseits gelegt. Auf einen Zauberspruch war der Kopf wieder am Körper, das Tier lebendig. Das kann sogar der geschickteste Bühnenkünstler der Neuzeit nicht fertig bringen. Wahrscheinlich handelt es sich um eine starke Übertreibung, wie sie sich auch bei dem Fleisch- und Bierverbrauch des  angeblich 110jährigen Zauberers offenbart.


  1. Erman, A.: Die Märchen des Papyrus Westcar, Königliche Museen zu Berlin, Mitt. aus den orientallschen Sammlungen, Heft 5, Berlin 1890. Engl. Übersetzung bel Budge: Egyptian Magic, 2. Aufl. London 1901 S. 7. Irrtümliche Angaben über den Westcar Papyrus bei Evans Hist. S. 15. Abbildung des Papyrus in MAGIE 1935, S. 62. Vgl. auch Volkmann: MAGIE 1930, S. 136, Mayer, MAGIE 1939, S. 108, Rossetti, Sphinx 1939, S. 71, Wilsmann: Die zersägte Jungfrau, 1939, S. 9.

Auf den Tontafelinschriften der Bücherei Assurbanipals (um 645 v. d. Z.) in Niniveh, die sich heute im Britischen Museum befinden, wird erzahlt, wie die Chaldäische Liebesgöttin Ishtar oder Astarte auf der Suche nach ihrem Gemahl Tammuz in den Hades hinabgestiegen war. Nachdem sie sieben goldene Tore durchschritten hatte, bei dem ihr jedesmal eins ihrer Kleidungsstücke verloren ging, trat sie nackt in den Hades ein, wo sie Ni-kin-gal, der Fürst des Schattenreichs, begrüßte. Um die Göttin aus der Unterwelt zurückzuholen, blies der Göttervater einer menschlichen Tonfigur Leben ein. Er gibt diesem Gebilde, damit es den Widerstand Ni-kin-gals breche, den Rat:

Bereite dich auf deine Täuschungen und trüglichen Künste,
Richte dein Sinnen auf deine schönsten Künste.
Bringe hervor Fische aus einem leeren Gefäß.
Ni-kin-gal wirst du damit in Erstaunen setzen.
Dann zu Ishtar. Sie wird ihre Kleider zurückerlangen(1).

Der Gedanke, den Gott der Finsternis durch ein Kunststück abzulenken und damit die Göttin zu befreien, ist einleuchtend. Wenn ich gleichwohl, ebenso wie im Falle des Westcar Papyrus, bezweifele, dass es sich um ein Taschenspielerkunststück handelt, so liegt das daran, dass solche Errungenschaften, wie sie diese beiden Kunststücke darstellen, so leicht nicht verloren gehen. Sie werden aber bei den vielfachen Berichten in den Schriften des Altertums, die sich auf Zauberkünstler oder fahrendes Volk beziehen, niemals erwähnt. So wird man in beiden Fällen hinter die Schilderung ein Fragezeichen setzen müssen. Es ist möglich, daß Wahrheit und Dichtung durcheinander gemengt sind. Es ist aber auch möglich, dass Märchen, die am Anfang aller dichterischen Gestaltung stehen, als Tatsachen genommen wurden.


  1. The legend of Ishtar, translated by Fox Talbot; Transactlons of the Biblical Archaelogical Society, Vol. II. S. 179-212. Vgl. auch Cooper, Wizzard III. S. 413. Clarke, Magic Wand 1924 S. 23 Der englische Text lautet: Prepare thy frauds, and deceltful trlcks / Fix the mlnd, thy chiefest trlcks, Bring forth fishes of the water out of an empty vessel / The thing will astonish Ni-kin-gal, Than to Ishtar, she will restore her clothing. Die Cuneiform-Inschriften sind in den Cuneiform texts from Babylonian tablets ... in the British Museum, London 1903 ff. wiedergegeben.

Die Taschenspielerkünste haben sich aus einfachsten Anfängen entwickelt. Wilkinson will eine ägyptische Zeichnung als Darstellung des Becherspiels deuten: Ein Mann soll erraten, unter welchen von 4 Bechern ein kleiner Ball liegt.(1) Das kann richtig sein. Vielleicht ist es aber auch die Wiedergabe eines Unterhaltungsspiels.

Die Priester des Altertums wendeten zur Ehrfurchterregung der Massen Künste an, die auf physikalisch technischen Kenntnissen beruhten.(2) Da waren Standbilder, die sprachen und gingen, wie die sich bewegende Bildsäule von Antium, das sprechende Haupt zu Lesbos und die wandelnden Dreifüße, die Homer erwähnt.(3)

Nach Plinius machten die Türen des Labyrinths von Theben bei der Öffnung ein donnerähnliches Geräusch.(4) Es gab Tempeltüren, die sich beim Entzünden eines Feuers auf einem Altar vermöge der erwärmten Luft, selbsttätig auseinander schoben(5) oder trompetenartige Geräusche hören ließen, was auf Ausnutzung von Wasser- oder Luftdruck beruhte.(6) Virgil(7) berichtet, dass die hundertfachen Tore des Tempels der Cumäischen Sibylle von selbst aufsprangen, um das Wort der Prophetin erschallen zu lassen:

Ostia jamque domus patuere ingentia centum
Sponte sua, vatisque ferunt responsa per auras.

In einem ägyptischen Tempel war ein Fensterschlitz so angebracht, daß an einem bestimmten Jahrestage, wenn das Bildnis des Sonnengottes zur Begrüßung des Serapis hereingetragen wurde, ein Sonnenstrahl, der durch den Spalt hereinfiel, seinen Mund und die Lippen erhellte. So schien es, dass Serapis beim Eintritt mit einem Kuss vom Sonnengott begrüßt wurde. Eine andere Sinnestäuschung wurde durch magnetische Kräfte bewirkt. Das Bildnis des Sonnengottes bestand aus kunstvoll gearbeitetem Eisen. Ein an der Decke befestigter Magneteisenstein riss dieses Bild in die Höhe, so dass der Sonnengott in der Luft zu schweben schien(8).

Bei den Dionysusweihen sollen nach Euphorion(9) Weinstöcke gezeigt sein, die bei Tagesanbruch Fruchtkeime erzeugten, vor Mittag schwere Trauben zur Reife brachten und abends den am Reigen beteiligten Jungfrauen Wein spendeten. Nach Pausanius(10) trugen bei der Dionysusfeier in Elis die Priester drei leere Kessel in eine Kapelle, die sie, nachdem die Kessel von den Bürgern untersucht waren, durch Siegel verschlossen. Wenn die Bürger am anderen Tage nach Untersuchung der Siegel die Kapelle betraten, waren die Kessel mit Wein gefüllt. Den Andreiern strömte jährlich beim Dionysusfeste der Wein von selbst aus dem Heiligtum.(11)


  1. Wilkinson, E.: Manners and customs of the anclent Egyptlans 2. Aufl. London 1842, Bd 2 S. 435 m. Abb.
  2. Beckmann: Belträge zur Geschlchte der Erfindungen, Leipzig 1799; Bd. 4 , S. 55-118 – Blümner: Fahrendes Volk im Altertum, Sltzungsber. d. Bayr. Akad. d. Wissensch., philosoph.-phllolog. u. hist., Klasse, Jahrg. 1919, Abh. 6. – Böttiger: Kleine Schriften, Dresden und Leipzig 1838, Bd. 3 S. 359 – Gaheis: Gaukler im Aitertum, München 1927 – Göll: Kulturbilder aus Hellas und Rom, Bd. 1261 ff – Marquardt-Mau: Privatleben der Römer, S. 338 – Reich: Der Mimus, Berlin 1903, Bd. 1, 2 S. 511 ff. - Vgl. auch die Anmerkungen Casaubons, die J. C. Wolf.: Casauboniana, Harnburg 1710, S. 53 ff., S. 255 ff. veröffentlicht hat.
  3. Homer: Ilias XVIII V. 373-77.
  4. Plinius: Historla naturalis XXXVI, 14. 
  5. Erläuterungen bei Heron: Pneumatlca, Automata, Ed. W. Schmid, Leipzig 1899, S. 175.
  6. Heron S. 99.
  7. Virgil Aenels VI. 82/83.
  8. Rufin: Kirchengeschichte XI S. 23.
  9. Meinecke: Analecta Alexandrina S. 144
  10. Pausanias: Beschreibung Griechenlands VI. 26
  11. Pausanias: a. a. 0. vgl. auch Theopompos, Fragmente S. 296, Plinius Hist. nat. II, 100, XXXI. 13.

Selbsttätig sich entzündende Feuer fanden sich im Tempel von Gnatia, von Horaz und Plinius gerühmt(1), aber auch anderorts(2). Maximus, der Ratgeber Kaiser Julians, berichtet von einem Hekatebildnis, dessen Fackeln in den Händen sich von selbst entzündeten.(3)

Die weiten Tempel mit geheimen Kammern, mit langen Fluren und großen Räumen, waren geeignete Stätten für Lichtwirkungen. Damaskios, einer der letzten Neuplatoniker, erzählt(4), dass an einer Tempelmauer sich ein großes Lichtbündel zeigte, das zunächst sehr von weitem kam. Als der Lichtherd näher rückte, erschien ein Gesicht „göttlich und übernatürlich, von feierlichem Ansehen, aber gemischt mit Freundlichkeit und außerordentlich schön”. Es liegt nahe, dieses Lichtbild auf die Verwendung der Laterna Magica zurückzuführen, obwohl keine Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass sie den Alten bereits bekannt war. Wohl dagegen hatte man bereits gebogene Spiegel erfunden, mit denen man Gestalten auf Rauchwerk oder festen Hintergründen erscheinen lassen konnte. Der Engländer David Brewster hat im vorigen Jahrhundert diese Wirkungen nachgeprüft und erklärt, dass bei geschickter Anordnung der Spiegel sogar der Eingeweihte von der Wirkung überrascht wird.(5)

Aulus Gellius(6) berichtet von Spiegeln, die, an bestimmter Stelle aufgestellt, nichts zeigen, an anderer dagegen Bilder zurückstrahlen (ut speculum in loco certo postum nihil imaginet, aliorsum translatum faciat imagines). Dass solche Spiegel geeignet waren, Erstaunen zu erwecken, liegt auf der Hand. Wenn es sich um Silberspiegel gehandelt hat, wird die Erklärung in Witterungs-Einflüssen, z. B. Aufstellung in trockener und feuchter Luft zu suchen sein.

Euklid weist in seiner Katoptrik darauf hin, dass man mit Hilfe nach innen gebogener Spiegel, die den Sonnenstrahlen ausgesetzt werden, Feuer entzünden kann. Plutarch erzählt in seinen Lebensbeschreibungen(7), dass man in Rom zur Entzündung des heiligen Feuers so verfuhr.

Die Verwendung selbsttätiger Geräte ist häufig zu finden. Ein solcher Automat, der „Sieg des Bacchus”, bestand in einem kleinen Tempel, in dessen Mitte Bacchus zu sehen ist. Aus seinem Tyrsusstab, den er in der Rechten hält, fließt Milch, aus einer Tasse, die er mit der linken Hand umgreift, quillt Wein, während auf einem Altar im Hintergrund ein Licht aufflammt und eine drehbare Bacchantengruppe unter Trommelwirbel und Beckenschlag vor dem Gotte tanzt. Die Bewegungen wurden mit den einfachsten mechanischen Vorrichtungen, wle Rädern, Achsen, Schnüren und Gewichten erzielt.(8)

Berühmt ist Herons wunderbarer Altar, mit den Gestaiten von Bacchus und Diana.  Sie stehen seitlich vor dem Altar. In ihren ausgestreckten Händen halten sie zwei Schalen über den Altarherd, denen beim Anzünden eines Feuers Trankopfer entfließt, während eine Schlange faucht. Diese Wirkungen wurden durch Dampf zu Wege gebracht.

Athanasius Kircher besaß, wie er angibt(9), einen ägyptischen Tempelaltar mit einem Standbild der Cybele. Dieses kleine Kunstwerk bestand aus vier Säulen mit einem Baldachin und zeigte in seiner Mitte das Standbild auf einem SockeL Sobald zwei Leuchter, die dicht unter dem Baldachin angebracht waren, angezündet wurden, erhitzte sich ein Behälter mit Milch, der sich im Baldachin befand. Die Milch lief durch einen der Pfeiler hinab in den Sockel und dann wieder hinauf zu der Brust des Standbildes, wo sie hervorquoll und sich in ein Becken ergoss.


  1. Horaz: Satiren. I, V, 98. Plinius: Hist. nat. II, 107, 111, 
  2. Cumont, F.: Les mystéres de Mlthra, 1899, Bd: 1 S. 81.
  3. Eunapios: Leben der Sophisten, Ed. Boissonade, S. 475.
  4. Damaskios: Leben lsidors in "Photios Excerpten", S. 105.
  5. Brewster, D.: Letters on natural magic, 2. Aufl., London 1868, S. 138.
  6. Gellius: Noctes atticae, XVI, 18.
  7. Plutarch: Lebensbeschreibungen, Numa.
  8. Heron: a. a. O.: S. 383 ff. 
  9. Kircher, A.: Oedipus Aegyptiacus 1652-54, Bd. II S. 333.
Darstellung Herons in einer deutschen Ausgabe der Pneumatika von 1688
Heron von Alexandria, Automata 13: Skizze eines Automaten, einer Wein und Milch spendenden Bacchus-Figur in einem Tempelchen. Die Figur ist durch unsichtbare Röhrchen mit versteckten Wein- und Milchbehältern verbunden, die durch die Öffnung von Ventilen Wein und Milch in den Thyrsosstab fließen lassen. Die Zeichnung zeigt die Gefäßkammern, Leitungen und Ventile. Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana, Gr. 516, fol. 202r (frühes 14. Jahrhundert)

Heron berichtet auch, daß Wasserkessel in den Tempeln vorhanden waren, die beim Einwerfen eines Geldstückes Weihwasser oder Wohlgerüche ausströmen ließen(1).

Neben diesen frommen Täuschungen der Priester gab es weltliche Spielzeuge und Automaten. Sie gehören in das Gebiet der unterhaltenden Physik. Wir sind über sie durch die Schriften des Heron von Alexandria unterrichtet(2). Dieser Praktiker, der der Ansicht war, dass der Geschützbau für die Ruhe der Seele mehr bedeute als die Schriften der Philosophen, veröffentlichte eine Reihe von mathematischen, physikalischen und technischen Schriften, von denen in diesem Zusammenhang nur die „Druckwerke” und „Automatentheater” in Betracht kommen. Sie sind deswegen besonders wertvoll, weil sie mit Abbildungen erhalten sind, die es gestatten, sich von den Künsten der Griechen ein anschauliches Bild zu machen. Bei den Druckwerken, die physikalische Spielereien darstellen, wird mit dem Druck des Wassers, erwärmter Luft oder des Dampfes gearbeitet. Die Automatentheater beruhen auf der Anwendung mechanischer Kräfte.

Von dem Reichtum der Heronschen Einfälle geben die mehr als hundert Geräte, die er beschreibt, einen Begriff(3). Hierunter befanden sich viele Spielzeuge, die im Rokokozeitalter so beliebt wurden, gedanklich vorgebildet. So das Dikaiometer, ein Gefäß, das stets nur ein genaues Maß Flüssigkeit ausfließen lässt, und die immer gefüllte Wasserschale. So das berühmte Trinkhorn des Heron, das, nachdem Wein hineingefüllt und Wasser dazu geschüttet ist, es gestattet, bald reinen Wein, bald klares Wasser herausfließen zu lassen(4). Heron bringt 13 Arten eines unerschöpflichen Behälters, der beliebige Mengen verschiedener Flüssigkeiten aus der selben Öffnung ausströmt. Es wurden sinnreich erdachte Mischkrüge hergestellt, die es nur dem Eingeweihten gestatteten, den Inhalt in Gläser zu gießen. Der Hals dieser Krüge war durchbrochen. Wenn der Unwissende einen solchen Krug zum Ausschenken neigte, sickerte der Inhalt aus den Durchbrechungen des Halses, ohne den Ausgussmund zu erreichen. Der Eingeweihte hielt mit dem Finger ein Luftloch zu, das sich unter der Einführung des Henkels in den oberen Krugrand befand. Da der Henkel hohl war und in den Boden des Kruges einmündete, strömte beim Neigen des Kruges die Flüssigkeit durch den hohlen Henkel zum oberen Krughals und gelangte von da durch den ausgehöhlten Halswulst in die Ausgußssöffnung. Wir erfahren von durch Wasserkraft betriebenen Orgeln, von sinnreich verfertigten ewigen Lampen und einer Reihe von selbsttätigen Spielzeugen. Man kennt damals bereits künstliche Vögel, die auf Ästen sitzend singen. Ein Rind, dem von einem Mann mit einem Schwert der Hals durchgeteilt wird, ohne dass der Kopf abfällt, beginnt zu trinken. Heron beschreibt tönende Trompeten, den Tantalusbecher, den pfeifenden Büsser, den trinkenden Hirsch und vieles mehr.

Vor Heron hatte bereits Philon von Byzanz, der am Ausgang des 3. Jahrhunderts lebte, und auch zeitweise in Alexandria wirkte, ein Werk über Pneumatik geschrieben, das allerdings nur in Bruchstücken erhalten ist(5). Heron hat ihn zweimal erwähnt, zeigt sich jedoch im Aufbau gleicher oder ähnlicher Geräte durchaus selbständig. Der Einfluss der Heronschen Schriften hat bis zum Ausgang des Mittelalters gewirkt, Leonardo da Vinci, Dürer, Galilei, Porta, Kircher und Schott haben für ihre Gerätschaften auf Heron zurückgegriffen.

Eine Zaubervase aus dem 4. Jahrhundert v. d. Z., wahrscheinlich italienischer Herkunft, die sich heute im Allard Pierson Museum in Amsterdam befindet, gestattet das Ausschenken von mehreren Flüssigkeiten als Belustigung bei Festmählern(6). Ein Schwesterstück befindet sich im Museum of Fine Arts in Boston.


  1. Heron S. 111.
  2. Der Streit, wann Heron lebte, ist auch heute noch nicht abgeschlossen. Nach W. Schmidt: Heronis Alexandrini Opera Bd. 1 Pneumatica, Automata, Leipzig 1899, S. IX, hat er bis spätestens 55 n. d. Z. gelebt. Henri Martin: Recherches sur la vie et les ouvrages d'Heron d'Alexandrie, Mém. Présentés par divers savants à l'Acad. des Inscript, Paris 1864, S. 28, nimmt an, dass er im 1. Jahrhundert v. d. Z. gelebt habe. Feldhaus: Die Technik der Antike und des Mittelalters, Potsdam 1931, S. 187, setzt sein Dasein noch später (2. Jahrhunder n. d. Z.) an.
  3. Von neueren Werken mit Abbildungen Heronscher Geräte sind zu erwähnen: de Rochas, Albert: Les origines de la science, Paris 1883; Ewbanks, T.: A descriptive and historical account of hydraulic and other machines for raising water, ancient and modern, New York 1851.
  4. Ähnliche Gefäße bei Della Porta: Pneumatica, Buch 3 Cap. 3; Schott: Technica curiosa, Buch 5, Cap. 7; Samuel Reyher: Dissertatio de aere, Kiel 1673, Cap. X. Die spielende Magie, Berlin 1790-93, Bd. 3 S. 10 ff.
  5. Abgedruckt im Anhang zu der Heronausgabe von W. Schmidt, Leipzig 1899.
  6. Snijder, G. A. S.: Eine Zaubervase im Allard Pierson Museum in Amsterdam, Leyden 1937.

In Griechenland werden unter dem Oberbegriff thanmatopoioi(1) oder thanmatoonegoi(2) alle Arten von Gauklern zusammengefasst, während der Taschenspieler im engeren Sinne nach seinem Hauptkunststück, dem Verschwindenlassen von Steinchen (psepsoi) als psepsopaichtes(3), psepsochleptes(4) oder psepsologos(5) bezeichnet wird. bei den Römern heißt der Zauberkünstler praestgiator(6). Die Vorführer des Becherspiels werden acetabularii genannt(7). Alciphron erzählt in seinen Briefen(8) von einem Landmann, der auf dem Marktplatz allerhand Kunststücke sah: „Ein Mensch trat hervor und setzte auf einen herbeigeschafften Tisch drei kleine Schüsseln. Unter diesen versteckte er dann drei weiße runde Steine, wie wir sie am Bachrand finden. Bald verbarg er einen unter jeder Schüssel besonders, bald zeigte er sie, ich weiss nicht wie, alle zusammen unter einer einzigen, bald ließ er sie völlig aus den Schüsseln verschwinden und im Munde sehen. Noch mehr: er verschluckte sie, rief die Nächststehenden heran und zog den einen Stein aus der Nase, den anderen aus den Ohren und den letzten aus dem Kopfe eines Zuschauers hervor. Er raffte sie wieder zusammen und ließ sie verschwinden”.

Dieses Becherspiel, bei dem, wie Seneca(9) sagt, „uns gerade die Täuschung ergötzt”, ist durch Jahrhunderte hindurch das eigentliche Wahrzeichen der Taschenspieler geblieben. Eine Gußform aus dem Römerlager Lauriacum zeigt einen mit einem Lendenschurz bekleideten Mann, der auf flacher Hand eine kleine Kugel emporhält, während auf einem dreibeinigen Tischchen vor ihm drei umgestülpte Näpfchen stehen(10). Doch wurden auch vielfach ohne Becher Kunststücke vorgeführt, die hauptsächlich darin bestanden, dass die Taschenspieler kleine Steine aus dem Munde zu ziehen schienen(11).

Die Bauchredner (eggastoipnthoi) sind im Altertum häufig aufgetreten(12). Beliebt waren Tierstimmennachahmer, die Vogellaute, wie etwa das Schlagen der Nachtigall(13), das Gackern der Henne, das Krächzen des Raben(14) wiedergaben. Parmeno konnte ein Ferkel so trefflich nachahmen, dass bei einem öffentlichen Wettstreit, wo ein anderer Bewerber ein wirkliches Ferkel unter der Toga verborgen  quieken ließ, die Menge Parmeno den Preis zuerkannte(15). Apulejus(16), der sich in seinen Metamorphosen mit überlegenem Spott über den Magiewahn, die Schwärmerei, den Aberglauben und den Priesterbetrug lustig macht, erzählt von einem Schwertschlucker: „Neulich sah ich in Athen vor der Säulenhalle mit meinen eigenen Augen einen herumziehenden Gaukler einen scharfen Degen, mit der Spitze zuerst, herunterschlucken. Ja, kurz darauf nahm er sogar einen langen Jagdspieß und stach sich damit für ein Spottgeld, das man ihm gab, tief in den Leib hinein. Das Eisen, das er sich in den Unterleib stieß, ragte samt dem Schaft aus dem Schlund hervor. Oben auf der Spitze ließ sich ein hübscher Knabe sehen, der mit solchem Anstand und mit solcher Gelenkigkeit tanzte, dass wir Zuschauer vor Verwunderung starr waren. Wahrhaftig, geschickter hätte sich nicht die edle Schlange Aeskulaps um dessen Knotenstock winden können”(17) – Als der Athener Demades die Schwerter der Spartaner verspottete, die so kurz seien, dass sie ein Zauberkünstler verschlucken könne, wurde ihm schlagfertig erwidert, dass die Spartaner mit solchen Dolchen ihre Feinde sehr wohl erreichten(18).

Häufig ist das Feuerspeien gezeigt worden. So bliesen Schwerttänzer bei der Hochzeit Alexanders des Großen, der an allen Zauberkünsten Freude hatte, Feuer aus dem Munde (19). Ein Syrer Eunus, der im sizilischen Sklavenaufstand (134 bis 132 v. d. Z.) die Massen zur Freiheit aufwiegelte, nahm eine mit Schwefel und Glut gefüllte Nuss in den Mund, der während seiner Rede Feuerflammen entquollen(20). Ähnlicher Mittel hat sich Barchocheba, ein angeblicher Messias der Juden zur Zeit Hadrians, zum Beweise seiner göttlichen Sendung bedient(21).

In den Philosophoumena des Hippolytus(22), einer gegen die Gnostiker gerichteten Schrift aus dem 3. Jahrhundert n. d. Z., heißt es von den Magiern: „Sie setzen einen mit Pech gefüllten Kessel auf brennende Kohlen und stecken, sobald er brodelt, die Hände hinein, ohne sich zu verbrennen(23). Aber auch wenn sie mit bloßen Füßen auf glühenden Kohlen wandeln, verbrennen sie sich nicht”. Die Erklärung ist folgende: „Er steckt seine Hände in den Kessel, als ob dieser siede, schüttet jedoch Essig, Schwefel und nasses Pech hinein, bevor er das Feuer unter dem Kessel entzündet. Der mit dem Schwefel vermischte Essig gerät in eine mäßige Hitze und bringt das Pech in Bewegung, so dass es bis an die Oberfläche Blasen aufwirft und nur den Schein verursacht, als ob es siede. Zuvor hat er auch seine Hände öfter in Salzwasser gewaschen, so dass er sich nicht eben sehr verbrennt, auch wenn das Pech in Wirklichkeit siedet. Und wenn er seine Hände mit einem Gemisch von Myrthensalbe, Schwefel, Gummiarabicum und Essig bestreicht und öfter mit Salzwasser abwäscht, so verbrennt er sich nicht. Seine Füße aber sind gegen die Hitze gefeit, weil er sie mit Fischleim und Salamanderfett bestrichen hat”.

Auch die Schlangenbändiger haben im Altertum ihre Künste gezeigt(24). Die Psyllen galten als gegen Schlangenbisse gefeit(25). Die Marsen hatten besonderen Ruf als Zähmer, wobei sie sich einschläfernder Gesänge bedient haben sollen(26). Im Römerlager Lauriacum ist eine kleine Brozefigur gefunden: ein nackter Mann, der die Köpfe zweier Schlangen mit vorgestreckten Unterarmen gegeneinanderhält, während die Tierkörper seine Arme bis zu den Schultern umringeln(27).

Nach Apulejus benutzten die wandernden Gauklel vielfach ihre angeblichen Kräfte dazu, um die Zukunft vorherzusagen und Heilmittel zu verkaufen(28). Celsus vergleicht die Wunder Jesu mit dem, was Gaukler und jene Personen ausführen, „die es von den Ägyptern erlangt haben und mitten auf dem Marktplatz um wenige Groschen ihre Wunderweisheit losschlagen, Geister aus dem Menschen vertreiben, Krankheiten wegblasen, Seelen von Helden beschwören und kostbare Mahlzeiten und Tische mit Backwerk und Zukost, wovon nichts in Wirklichkeit vorhanden ist, zeigen, ja sogar Gegenstände wie lebende Wesen in Bewegung setzen, obwohl dieselben tatsächlich keine lebenden Wesen sind, sondern nur wie solche erscheinen”(29).


  1. Plato, De republica VII, 514 b; Demosthenes, Orat. II, 19; Athenaeus XII, 538 e. Nach Pollux, IV, 14, 104, erschienen bei den mimischen Zwischenauftritten häufig Gaukler (praestgiatores), die die Menge mit Sprüngen durchs Feuer und durch Reiten belustigten.
  2. Athenaeur IV, 129 d; Hero, Autom.; Ed. Schmidt, I S. 342.
  3. Stobaeus, Florilegium, LXXXII, 4, Artemidor, Oneirocritica III, 55.
  4. Athenaeus I, 10 b, kleptein = verschwinden lassen
  5. Suidas: Lexicon graece et latine, ed. Bernhardy, Halis et Brunsvigae 1853, Bd. 4 S. 1714 und die dortigen Quellenangaben
  6. Praestigia = Blendwerke, von praestringere = blenden. Das Wort findet sich häufig: Plautus, Aulularia 630; Varro, Lingua latina V, 94; Seneca, Epistolae 45, 8; Frontinus, De orationibus S. 156. So noch Wierus: De praestigiis daemonum, Basel 1563. Das Wort hat sich in dem französischen prestige = Blendwerk, Täuschung erhalten. Daraus verhunzt prestidigitateur, prestidigitatore, das mit presto und digitus (so Hügli, Moderne Magie S. 11; Watson in Reliquary 1909, S. 190; Kollmann in MAGIE 1932, S. 10; Robert-Houdin, Confidences Cap. VII, Comment on devient sorcier, Paris 1862, S. 28; Saltarino, Artistentum S. 128; Fischer, Wunderbuch S. 56) nichts zu tun hat (vgl. Böttiger, C. A.: Kleine Schriften, Dresden und Leipzig 1838, III S. 361). Dies schon deshalb nicht, weil presto italienisch, digitus lateinisch ist. Das Wort Prestidigitateur ist 1815 in Frankreich durch Jules de Rovère aufgetaucht. Das Wort Escamoteur leitet sich von escamot, dem Korkkügelchen beim Becherspiel (Watson, S. 190), vielleicht auch von commutare = verändern, wechseln, ab, das sich noch in dem spanischen commodar erhalten hat (Böttiger, S. 359).
  7. Vgl. Hultsch bei Pauly-Vissowa, Realenzyklopädie I, S. 155. Martial XI 32 spricht anstatt von acetabulum = Becher von gabata = Schale, Schüssel. Daraus hat sich das französische gobelet entwickelt. Das Becherspiel heißt heute noch jeu des gobelets.
  8. Alciphron, Epistolae, III, 20. Vgl. die Anmerkung dazu bei Böttiger a. a. O. S. 359
  9. Seneca, Epistolae 45, 7: Sic ista sine noxa decipiunt, quomodo praestigiatorum acetabula et calculis, quibus fallacia ipsa delectat.
  10. Gaheis S. 19.
  11. Frontius, De orationibus S. 156: Oleas suas in altum iaciat, ore aperto excipiat, ut calculos praestigiator, primoribus labris ostentet.
  12. Lucian, Lexiphanes S. 20. Der Name eggastoimnthoz wurde in hellenischer Zeit, nachdem Eurykles sein Bauchreden mit Wahrsagen verbunden hatte (Aristophanes, Vespae 101ß), allgemein für Wahrsagen verwenden; Artmidor I 1a.
  13. Plutarch, Apophthegmata regum 191b, Apophthegmata Laconica 212f, Petron, Trimalchio 66, 3.
  14. Plutarch, Quaestiones convivales V 1, 2; Ausonius, Epigr. 76.
  15. Plutarch, De audiendis poetis 3, 18c; vgl. auch Phaedrus, Fabuelae V, 5.
  16. Apulejus, Metamorph. I, 4.
  17. Über die Kunst des Schwertschluckens, die auf natürlicher Fertigkeit beruht, vgl. Houdini: Miracle mongers, New York 1920, S. 137 ff.; Hopkins: Magic, London 1897, S. 156.
  18. Plutarch, Lykurgus 19, Apophthegmata regum 191e, Apophthegmata Laconica, 216d.
  19. Athenaeus, Deipnos. IV, 129d.
  20. Diodorus, Fragmenta XXXIV, 2; Florus II, 19 nennt Schwefel und Feuer als Inhalt der Nuss.
  21. Hieronimus Apologia III adversus libros Rufini 31 (Migne XXIII,502).
  22. Hippolytus: Refutationes omnium haeresium, Ed. Duncker, S. 96, 98.
  23. Über die Fähigkeit von Kupferarbeitern, geschmolzenes Kupfer in die Hand zu nehmen, berichtet Beckmann: Beitr. z. Gesch. d. Erf. Bd. 4 S. 70.
  24. So schon die Bibel, II. Buch Mosis Kap. 7, wonach Aron seinen Stab zur Erde warf, der zur Schlange wurde. Vgl. ferner Digesten XLVII, 11. 11 und Aelian, De natura animalium IX, 62. Nach Silius Italicus I, 411, III 300 konnten bestimmte Personen oder Stämme die Schlangen von ihrem Gift befreien.
  25. Strabo XVII S. 814; Aelian, De natura animalium I, 57; Plinius VII, 14, XXVIII,30; Lucan, Pharsalia IX, 891.
  26. Virgil, Aeneis VII, 753/64: Vipereo generi et graviter spirantibus hydris / Spargere qui somnos cantuque manuque solebat. Vgl. auch Silius Italicus VIII, 495, der von Marsica pubes, Horaz, Epod. V., 76, Ovid, Ars amandi II, 102, die von Marsae voces sprechen. Celsus, Medicinae libri V, 27, glaubt, dass die Schlangen durch gewisse Mittel gelähmt werden.
  27. Gaheis, S. 28.
  28. Vgl. auch Juvenal, Sat. III, 76, wo Wahrsager, Quacksalber, Zauberer in einem Atem genannt werden.
  29. Celsus bei Origines, I. S. 68.

Einem dieser seltsamen Künstler, Alexander von Abonotica, widmet Lucian eine lange Betrachtung (1). Alexander kaufte auf einer mazedonischen Reise eine außergewöhnlich große Schlange, die wie die Schlangen jener Gegend zahm war. Nach seiner Rückkehr in seine Heimatstadt kündigte er seinen Mitbürgern die Ankunft des Asklepsius von einer Schlange an. Vor einer großen Menge brachte er in einem Tempel ein Gänseei hervor, in das er eine junge Schlange eingelassen hatte. Beim Brechen der Schale kroch sie heraus und ringelte sich um seine Finger. Das Volk glaubte, dass Asklepsius in Gestalt der Schlange wieder erstanden sei. Alexander tauschte nach einiger Zeit die kleine Schlange mit der mazedonischen aus. Er benutzte sie, um Antworten auf Fragen Kranker zu geben. Die Anfragen ließ er sich in einem gesiegelten Umschlag überreichen. Nach einigen Tagen erschien die Antwort in demselben Umschlag, dessen Siegel ungebrochen war. Er verwendete zur Lösung der Siegel verschiedene Mittel, die Lucian näher beschreibt. Bisweilen würden die Antworten auch durch einen Gehilfen gegeben, der von einem Nebenraum aus durch ein in der Wand verstecktes Sprachrohr antwortete. Da die Schlange vor der verborgenen Rohröffnung lag, glaubte die Menge, dass die Schlange die Antworten verkündete. Lucian selbst, der den Magier aufgesucht haben will, behauptet, dass dieser ihn, weil er seine Betrügereien durchschaute, habe umbringen lassen wollen.

Die Kunst der Taschenspieler wurde vielfach als Beweis der Philosophen für die Unvollkommenheit des Wissens angeführt. Sextus Empiricus, jener Skeptiker, der im 2. Jahrhundert n. d. Z. in Alexandria und Athen lehrte, erklärt: „Ebenso wie wir das, was die Taschenspieler zeigen, für nicht wirklich halten, sondern vielmehr wissen, dass sie täuschen, obwohl wir nicht wissen, wie sie täuschen, so dürfen wir nicht falschen Beweisen trauen, die nur den Schein erwecken, als ob sie richtig wären, selbst wenn wir nicht genau wissen, inwiefern sie verfänglich sind (2).

Einigen Taschenspielern des Altertums wurden sogar Bildsäulen errichtet. Theodorus wurde von den Histiäern und Oritäern durch ein Erzstandbild im Theater geehrt (2). Der Bauchredner Eryklydes erhielt in Athen unmittelbar nemben der Büste das Aeschylos seinen Platz (4). Athenäus beklagt diese Geschmackswandlung der Athener, die mechanische Erfindugen der wahren Kultur des Geistes vorzögen und dem Taschenspieler Pothinus die Bühne zur Verfügung stellten, auf der sonst Stücke des Eurypides gespielt wurden. Beißend erklärt er, dass Diopethes von Kokris nur deswegen unsterblich wurde, weil er eines Tages in Theben eine Vorführung gab, wo er Wein und Milch in beliebigen Mengen aus dem Munde sprudeln ließ, was er dadurch zuwege brachte, dass er zwei mit diesen Flüssigkeiten gefüllte Blasen unter seinem Gewand verborgen trug (5). Athenäus nennt noch eine Reihe von Namen bekannter Taschenspieler, so Xenophon und seinen Schüler Crathistenes, die Feuer von selbst erstehen ließen und Maschinen erfanden, mit denen sie alle Menschen täuschten. Ferner Scymnus aus Tarent, Philistides aus Syrakus und Heraklit aus Mytilene, die vor Alexander dem Großen ihre Künste zeigten (6).

Die Heimatländer der fahrenden Gaukler des Altertums waren Griechenland und Kleinasien. Der „windige Graekulus”, der, wie Juvenal (7) spottet, „alles konnte”, durchzog die Lande um das Mittelmeer. Wo er eine schaufreudigere Menge antraf, zeigte er seine Künste. Erst in den letzten beiden Jahrhunderten vor Beginn der neuen Zeitrechnung machte sich das Gauklertum unter den Römern breit.

Der Schauplatz der Tätigkeit dieser Gaukler waren die Fürstenhöfe (8) und die Messen, wo sie stets mit einer schaufreudigen Menge rechnen konnten. Bei Hochzeitsschmäusen und Festlichkeiten fanden sie sich ein. Sie zogen unstet von Ort zu Ort, zeigten sich auf dem Markt oder in einem Theater, je nachdem sich die Gelegenheit bot. Gerade in den kleinasiatischen Städten, Unteritalien und Sizilien war man ihrer Darbietungen froh. Es ist im Grunde schon dasselbe Bild, wie wir es heute noch auf Kirmessen haben: eine Bretterbude oder ein Schaugerüst dient als Bühne. Die Zuschauer werden durch marktschreierische Ankündigungen oder durch feile Späße angelockt. Und der Einnehmer hat, genau wie heute, seine Mühe, von den Zuschauern seine Münzen zu erhalten. Zaungäste und solche, die sich auf Freiplätze beriefen, gab es die Fülle. So erwähnt Theophrast Menschen, die „bei den Gaukelkunststücken zu einem jeden hinzutreten, Kupfermünzen einsammeln und sich mit denen herumstreiten, welche eine Marke bei sich tragen und umsonst zuschauen wollen” (9).

Die Berichte, die sich sonst von angeblichen Zauberern oder Magiern des Altertums zerstreut vorfinden, von Tiresias und Abaris, von Pythagoras, Epimenides, Aristeas und Simon Magus, sind zu verschwommen, um sie verwerten zu können. Manche werden nur als Magier bezeichnet, ohne dass erwähnt wird, was sie vollbracht haben. Den anderen wird die Kunst, Tote zu erwecken, zu fliegen, sich unsichtbar zu machen oder an mehreren Orten zugleich zu sein, nachgerühmt. Es lässt sich nicht mehr nachprüfen, wo die Wirklichkeit aufhört und die Fabel beginnt.


  1. Lucian: Alexander seu pseudomantis.
  2. Sext. Emp Hypolyposeon II, De Sohiamatibus.
  3. Athenaeus, Deipnos. I, 19b: Histiael et Oritae Theodori prestigiatoris aeneum signum in theatro posuere, manu calculum tenens, quo in genere artem suam exercebat.
  4. Athenaeus, aaO. I, 19e.
  5. Athenaeus, aaO. I, 20a.
  6. Athenaeus, aaO. I 14, I, 20a, XII, 8.
  7. Juvenal, Sat. III 76: grammaticus, rhetor, geometres, pictor, aliptes / augur, schoenobates, medicus, magus, omnia novit / Craeculus esuriens.
  8. Besonders die Diadochen hatten für solche Darbietungen eine Vorliebe, Dodorus Siculus, Fragmenta XXXIV, 34.
  9. Theophrast, Characteres, 6.

Das Mittelalter (1)

Die Ausübung unterhaltsamer Künste ist den alten Germanen fremd. Erst die römischen Legionen zogen „joculatores” nach sich. Es waren sicherlich nicht die besten, die gen Norden wanderten. Denn welcher heissblütige Levantiner hätte die volkreichen Städte Italiens und ihre ewig schaufreudige Menge, die Fürstenhöfe Kleinasiens verlassen, solange er dort Bewunderer fand? So waren gerade in Deutschland die fahrenden Leute solche, die anderswo keinen Zulauf mehr fanden, liderliche Gesellen, die häufig ihre Künste mit Betrügereien und Diebstählen vermischten. Sie werden mit Dieben und Räubern in einem Atem genannt (2), der Scheinbuße überantwortet und des Abendmahls für unwürdig erachtet (3). Man hat ihnen seit Grimms Abhandlung über Freidank auch häufig zum Vorwurf gemacht, dass sie „Guot umb ere nemen”. Aber dass dies wirklich eine Erniedrigung der Ehre des freien Mannes bedeutet habe, muss mit Rücksicht auf die Nachweise bei Haupt fraglich erscheinen (4).

Die Gaukler sind jedenfalls im Gegensatz zu den Barden und Skalden eine fremdstämmige Einrichtung. Und so dürften auch die Worte gouggilari, gougulari, coucalari, die sich im Althochdeutschen finden (5), nicht, wie Blümner annimmt (6), germanisches Sprachgut sein, sondern sich aus dem Lateinischen und Griechischen entwickelt haben. Wahrscheinlich werden sie von dem römischen joculator abzuleiten sein (7),  doch deutet die Form coucalari auch auf das spätlaleinische cauculator hin (8). Im Mittelhochdeuschen heissen die Gaukler gogelaere, goukelaere (9). Daraus entstehen dann die neueren Wortformen: Gaukler im Deutschen, juggler im Englischen, jongleur im Französischen, giuculatore im Italienischen.


  1. Freytas, G.: Bilder aus der deutschen Vergangenheit, Bd. 2, Cap. XIII: Die fahrenden Leute. – Freymond: Jongleurs und Menestrels, Halle 1883. – Hampe: Die fahrenden Leute in der deutschen Vergangenheit, Monogr. zur deutschen Kulturgeschichte, Bd. X, Leipzig 1902. – Reich: Der Mimus, Berlin 1903, Bd. 2, S. 810 ff. – Schaer: Die altdeutschen Fechter und Spielleute, Diss. Straßburg 1901. – Schultz, A.: Das höfische Leben zur Zeit der Minnesänger, Bd. 1, Leipzig, 1897, S. 444 ff. – Stosch: Der Hofdienst der Spielleute, Diss. Berlin 1881. – Strutt: The sports and pastimes of the peole of England, London 1810 Cap. V u. spät. Aufl. – Tobler: Spielmannsleben im alten Frankreich, Im neuen Reich 1875, Bd. I. S. 321. – Watson: Conjurers, The Reliquary and Illustrated Archeologist, New Series, Vol. VI, London 1909, S. 81-100, 176-191.
  2. Sachsenspiegel 1. 88: Kemphen und ihre Kindere und alle, die uneliche geboren sind, und spillute und die dube oder roub sunen oder wider gebn ... die sint alle rechtelos, Gleichsinnig, Schwabenspiegel 1. 88. Weitere Rechtsnachweise bei Schaer, S. 98.
  3. Falckenstein, D.: Cod. Dipl. Antiqu. Nordgau, App. S. 75.
  4. Haupt: Anm. zum Erek 2167, wonach der Spender gegen Lohn geehrt wurde. Weitergehend Burdach: Raimar der Alte, Leipzig 1880, S. 132, wonach die Spielleute und Sänger durch das ihrem Herrn gespendete Lob auch für sich selber Ehre gewannen.
  5. Heine: Deutsches Wörterbuch 1890, I., S. 1034. Wachtler bei Ersch und Gruber, Allgem. Eucyklop., Leipzig 1852, Teil 551.
  6. Blümner: Fahrend Volk, Note 138.
  7. Reich: Der Mimus Bd. 12, S. 808, 814. Im Französischen wird von jougleor (Reich s. 815) und jogleor (Freymond S. 9, Toblier S. 326), im Spanischen von Juclars (Reich S. 808), im Englischen von jogelour (Chaucer: The House of fame), im Italienischen von giocolatore (Reich S. 806) gesprochen.
  8. Loewe und Goetz: Corpus Glossarium latinorum, III, 198, 63. Dieses Wort stammt von dem griechischen Schlüsselchen. Die Abteilung von cauculator nehmen Frommann: Tractatus de fascinatione, Nürnberg 1735, S. 771. Boettiger: Kleine Schriften, III., S. 360, Göll: Kulturbilder aus Hellas und Rom I, S. 126 ff. an.
  9. Lexer: Mittelhochd. Handwörterbuch, Leipzig 1872 I. S. 1062. Im Französischen wurden unter jongleurs Gaukler, Akrobaten, Tänzer, Taschenspieler, Possenreißer, Bärenführer verstanden, die im Gegensatz zu den trouvères gegen Lohn arbeiten. Freymond S. 6.

Die Gaukler und Spielleute haben jene Künste vorgeführt, die schon im Altertum das Volk ergötzten. Die Taschenspieler pflegten mit einer großen Tasche and der Seite, die als Gaukeltasche bezeichnet wurde, umherzuziehen.

Lambert von Ardre berichtet in seiner Geschichte der Grafen von Ghisnes (1), die um 1200 verfasst ist, dass bei der Hochzeit des Grafen Arnold viel fahrendes Volk zusammengeströmt war, worunter sich auch ein Possenreißer und starker Trinker befand, der sich anheischig machte, ein grösseres Fass Bier aus dem herrschaftlichen Keller in einem Zuge auszutrinken, „wenn ihn der Herr Graf für dieses Kunststück mit einem Pferde zu begaben bereit sei”. Der Graf ging auf den Vorschlag ein, worauf der Gaukler, nachdem alle nötigen Vorkehrungen getroffen waren, in kürzester Zeit das Fass leerte. Als er nun das Pferd verlangte, sprangen Diener herzu, die auf Befehl ihres Herrn aus abgehauenen Zweigen einen Galgen errichteten und den Gaukler dann auf dem Folterrosse – einer Foltermaschine, die mit einem Pferd Ähnlichkeit hatte – reiten ließen.

Da kein Anlass vorhanden ist, den Bericht Lamberts als Übertreibung anzusehen, so muss es sich um einen Trinkkünstler von der Art des Lokrers Diopeth gehandelt haben. In Indien wird das Kunststück noch heute in ähnlicher Art, wie es Lambert beschreibt, gezeigt (2).

Auch Walther von der Vogelweide spielt in einer Strophe auf die Taschenspieler an:

„Genuoge herren sint gelich den gougelaeren,
Die behendecliche kunnen triegen unde vaeren.
Der sprichet 'sich her, waz ist under disem huote?
Nu zucke in uf', da stet ein wilder valke in sinem muote.
'Zuck uf den huot', so stet ein stolzer pfawe drunder.
'Nu zucke in uf', da stet ein merewunder.
Swie dicke daz geschiht, so ist ez ze jugest wan ein kra.
Friunt, ich erkenne ouch daz, haha haha,haha.
Hab din valschen gougelbühsen da:
Waer ich dir ebenstarc, ich slüeges an das houbet din.
Din asche stiubet in diu ougen min.
Ich wil niht mer din blasgeselle sin,
Duen wellest min baz hüeten vor so trügelichem kunder.”

Die Verwandlugnen unter dem Hut, eine Abart des Becherspiels (3), waren in damaliger Zeit das am häufigsten ausgeführte Kunststück, das in Schriften und Predigten häufig mit dem Gaukelspiel der Welt verglichen wurde (4).

Hugo von Trimberg (5) benutzt die Kunst der Becherspieler zum Vergleich:

„So er loufet, springet hin und her
Als ein gefüeger goukeler,
Der under dem huote goukeln kan
Der triuget manic wip und man.”

Ein Gaukler, den Flandrijs (6) erwähnt, muss auch andere Kunststücke gezeigt haben:

„Du cons wel gokelen onder den hoet”,
Sprac de groote Colosus.
„Du does den capoen vliegen dus,
Van der tafele, daer hi op stoent;
Du cons toueren dats mi cont.”

Roger Bacon erwähnt Gaukler, die Täuschungen durch die Geschwindigkeit ihrer Handbewegungen, durch die Annahme verschiedener Stimmen, durch sinnreiche Geräte auf Grund der Dunkelheit oder mittels Gehilfen hervorrufen und so den Zuschauern wunderbare Dinge zeigen, die nicht vorhanden sind (7).

Chaucer (8) spricht in seinem „Haus des Ruhmes” mit dichterischer Großzügigkeit von einem Taschenspieler, der eine Windmühle unter einer Walnußschale verschwinden ließ:

There saugh I Colle tregetour
Upon a table of sicamour
Playe an uncouthe thing to tell:
I saugh him carrien a wind-melle
Unter a walsch-note shale.

Nach den Fabeln des 12. und 13. Jahrhunderts (9) rühmen sich die Gaukler des Becherspiels, dass sie einen Käfer als lebend und tanzend sich auf einem Tisch bewegen lassen, dass sie mit dem Stab, dem Messer, Strick und Schleuder spielen können:

„Bien sai joer de l'escambot
Et fair venir l'escarbot
Vif et saillant dessus la table
Et si sai meint beau geu de table
Et d'entregiet et d'artumaire
Bien sai un enchantement faire
Ge sai jouer des basteax
Et si sai jouer des costeax
Et de la corde et de la fronde.”

John Lydgate (1373-1450) nennt in seinem Dance of Macabre einen Zauberkünstler mit Namen:

„Maister John Rykell, sometime tregitour of noble Henri, Kinge of England,
And of France the mighty conqueror;
For all the sleihtes and turning of thyne honde
Thou mus come nere this dance to understonde.”

In den Fabeln des 13. und 14. Jahrhunderts (10) werden die Taschenspieler nicht immer ehrenvoll erwähnt:

„Devaunt nostre sire en leniere cour
Sunt meint jogleur et meint lechour;
Molt bien sevent de tricherie
D'enchautementz e genglerie,
Et font parroistre par lur grymoire
Voir comme mençonge, mençonge come voire...”

Diese bissigen Seitenhiebe auf die Gaukler und Spielleute beweisen, dass sie in Deutschland, Frankreich und England nicht die gleiche Stellung wie im Altertum einnahmen. Wohl gab es auch im Abendland Fürsten, die sich nach der Last des Tages durch Gaukelspiel zerstreuen ließen, und Friedrich II. hat sogar zur Belustigung seiner Gemahlin eigens sarrazenische Tänzerinnen gehalten. Aber mancher Schlossherr betrachtete sie auch als recht unliebsame Gäste und ließ durch Hochheben der Zugbrücke jeden Fahrenden kurzerhand abweisen. Viele Stadtrechte suchent sich der Plage unerbetener Spielleute und Gaukler zu erwehren (11). Ja, in bologna scheinen die Taschenspieler so unbequem geworden zu sein, dass man ihnen gebot, ihre Gaukeleien ausserhalb der Stadt zu treiben (12). Zu den Gauklern gehörten auch die Lodderer oder Lotterbuben, die mit dem Lotterholz, einem Brettchen, das zum Wahrsagen und zu Taschenspielereien benutzt wurde, durch die Lande zogen (13).


  1. Lambertus Ardensis: Historia comitum Ghisnensium Nr. 124. Mon. Germ. Hist. Hs. 622. Vgl. auch Schultz: Höfisches Leben I, S. 446.
  2. Erklärung bei W. Goldston: More Exclusive Magical Secrets, London 1924, S. 345 (nach einer Burmesischen Handschrift im Besitze von Harry Price, London).
  3. So spricht Minguet y Yrol: Juegos de Manos, ... Madrid 1733, S. 86 von „Pasos de los Cubiletes, que bien se puoden hacer con dos, o tres sombreros.”
  4. Schönbach: Beiträge zur Erklärung altdeutscher Dichterwerke, Teil II, Walther von der Vogelweide, Wiener Sitzungsberichte 145 IX (1902), S. 51.
  5. Renner 3677.
  6. Flandrijs II, 18.
  7. Roger Bacon: De secretis operibus artis et naturae et de nullitate magiae, Hamburg 1618, S. 22: Nam sunt qui motu veloce membrgrum apparentia dingunt, aut vocum diversitate, aut instumentorum, sbtilitate, aut tenebris aut consensu multa mortalibus proponunt miranda, quae non habent existentiae veritatem. ... nam joculatores multa manum velociatate mentiuntur.
  8. Chaucer: The house of fame III, 187-191. A. V. Dühring: Chaucers Werke, Straßburg 1883, Bd. !, S. 45, übersetzt diese Verse:
    Falschmeister Hokuspokus sah,
    Auf einem Ahorntisch ich da
    Das wundervollste Zeug vollziehn,
    Und eine Flügelmühle ihn
    In eine Walnußschale stecken.
  9. Le Grand d'Aussy: Fabilaux ou contes du XIIe et XIIIe siècle, Paris 1779, I, S. 310. Ähnlich Jubinal: Oeuvres de Rutebeuf, Paris 1839, I, S. 337. Vgl. hierzu Springer: Paris im 13. Jahrhundert, Leipzig 1856, S. 75. – Endlich eine Stelle bei Karlmeinet 287, 11ff: ”Sulche Meyster gude koechelden under dem Hoede.”
  10. Montaigion et Raynaud: Rec. gén. et compl d. fabliaux des XIII et XIV siècles, Nr. 5, V. 9 ff.
  11. Lappenberg: Hamburger Rechtsaltertümer I, 161, Ölrichs, Gesetzb. d. Stadt Bremen, S. 50.
  12. Hüllmann: Städtewesen des Mittelalters, Bonn, 1829, Bd. 4, S. 234, der als Quelle die – mir unzugänglichen - Statuta Bononiae Bd. I, S. 497, nennt.
  13. Beneke, O.: Von unehrlichen Leuten, 2. Aufl., Berlin 1889, S. 55.
Wird fortgesetzt ...

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