Natürliche Zauberkunst und Magie
Je mehr in unserer heutigen Welt der Verstand den Platz einnimmt, der früher der Einbildungskraft und dem Glauben zukam, um so größer wird die Kluft zwischen Mensch und Natur. Die Zusammenhänge zwischen beiden werden nicht mehr erlebt, sondern begrifflich erfasst. Der Mensch tritt der Natur gegenüber, deren Gesetze auf ihrer eigenen Ebene liegen.
Der ursprüngliche Mensch wendet sich mit aller Kraft gegen den Gedanken, daß die Welt anderen als menschlichen Gesetzen unterworfen sein könne. Sobald er fühlt, daß der Ablauf der Geschehnisse seinen Anschauungen nicht entspricht, erwacht der Drang, die Natur in Bann zu schlagen. Selbst der verstandesklarste Mensch, der nur das mathematisch Beweisbare anerkennt, wünscht in seinen Träumen und unbewachten Augenblicken, zaubern zu können. Er möchte der Natur und des Schicksals Herr sein, alle Zusammenhänge der Welt entdecken. Diese Sehnsucht bildet die Grundlage für die Bewunderung aller menschlichen Handlungen, deren Erklärung sich dem Satz vom Grunde und den Denkgesetzen entzieht.
Das Wort Magie geht auf Zoroaster zurück, dem der Titel Magus beigelegt wurde, eine Bezeichnung, die dann auf seine Schüler überging. Plato erwähnt im Alcibiades das Wort magia als die geheime Wissenschaft Zoroasters. Magie galt im persischen als Ausdruck vollkommener Weisheit. Im Mittelalter unterschied man natürliche, künstliche und teuflische Magie. Wir werden darauf noch zu sprechen kommen. In neuerer Zeit sind Versuche aufgetaucht, die Magie als wissenschaftlichen Begriff zu fassen.(1) Aber mir scheint das müßig und fragwürdig. Magie ist kein Zweig der eigentlichen Wissenschaften, sondern umschreibt eine geistige Haltung. Die magische Einstellung äußert sich in unendlichen Formen, in der Sterndeutung, der Wahrsagekunst, der Goldmacherei, dem Vertreiben von Geistern, Hexen, Dämonen, der Heilung von Krankheiten, der Beeinflussung des Wetters, dem Suchen von Schätzen, der Bannung von Feinden, der Herbeirufung Verstorbener. Die Magie entstammt dem ursprünglichen Trieb, der Natur beizukommen, dem Wunsch, sie zu lenken oder wenigstens ihre Geschehnisse vorher zu wissen, dem Bedürfnis, das Wirken vorgestellter Mächte zu beeinflussen. Zum Teil entspringt sie höchst weltlichen Sehnsüchten: Erwerb von Reichtum, Besiegung des Todes, Beherrschung von Raum und Zeit.
Verständlich wird die Magie nur im Zusammenhang mit einer seelischen Einstellung, die uns heute fremd ist. Dort, wo der Verstand das Übergewicht über die Kräfte der Einbildung besitzt, ist für Magie keine Raum. Aber diese Welt wird, soweit wir nur mit Mitteln des Verstandes an sie herantreten, ewig unheimlich, kalt und unverstanden bleiben. Darin liegt die großartige Macht, die die Magie immer wieder auf die Menschen ausgeübt hat. In dem Augenblick, wo der Mensch ohne Rücksicht auf Verstand und Erfahrung ein Weltbild erschafft, das ihn zum Herrn der Natur macht, ist er dem Halbgott gleich. Was ficht es ihn an, dass ihm viele Einzelheiten Unrecht geben? Er greift nur diejenigen heraus, die seine Anschauungen unterstützen. So ist die Magie eine echte Schöpfung menschlicher Einbildung. So aber ist Magie auch ein Vorgang, der mit den kultischen Handlungen und Glaubensvorstellungen verwandt ist. Sie bezieht den Menschen in die ewig fragwürdige Natur ein. Sie bringt Seele und Außenwelt in eine befriedigende Gleichung.
Die Anfänge der Magie greifen bis in das Dunkel der Vorzeit zurück. Ihre älteste Form dürfte im Bilderzauber der vorgeschichtlichen Menschen zu suchen sein. Die Vorstellung, dass das, was einem Bilde zugefügt wird, die dargestellte Person selbst trifft, hat sich mit eigentümlicher Zähigkeit bis auf unsere Tage erhalten. Der Wunderglaube und die Versuche der Naturbeherrschung durch die Magie zeigen sich bei den ursprünglichen Völkern besonders stark. Bei den Ägyptern, Chaldäern und Griechen ist die Sterndeutung, die Kunst der Weissagung, die Beeinflussung des Schicksals, der Geister oder Götter durch kultische Handlungen als sinnvolle Pflicht der Priester und Könige empfunden worden. Diese geistige Einstellung hat trotz aller Schwächen ein Weltbild erzeugt, wo Natur und Menschengeist, Zufall und Schicksal sich zu einer großartigen Einheit zusammenschließen.(2)
Während die Magie dem Herrschafts- und Erkenntnistriebe entspringt, gründet sich die natürliche Zauberkunst auf den Spieltrieb. Jene will die Natur lenken, diese sie ausnutzen. Die Freude an der natürlichen Zauberkunst hat nicht minder tiefe Wurzeln, als die Sinne nicht voll verlässlich sind, dass die Erfahrung sich als trügerisch erweist, dass dem unbarmherzigen Gesetz von Ursache und Wirkung ein Schnippchen geschlagen wird. Man fühlt sich wieder in das Reich der Kindheit versetzt, wo die Einbildungskraft den Vorrang vor dem Verstand hat, wo der Satz vom Grunde nicht gilt, wo freundliche Kobolde den grauen Alltag zur Zauberwiese des Märchenlandes machen.
Die natürliche Zauberkunst hat sich von vornherein in zwei Richtungen, die sich weniger in ihren Mitteln, als in ihrem Zweck unterscheiden, entwickelt. Die eine suchte die Unterhaltung der Zuschauer zu bewirken, die andere ihre Ehrfurcht zu erregen. Die eine wurde von den Gauklern und Taschenspielern, die andere von den Priestern und Magiern ausgeübt. Beide suchten die Sinne der Zuschauer zu täuschen. Natürlich sind darum die Priester und Zauberer noch keine Trüger. Denn die natürliche Zauberkunst dieser Personen ist bis in das Mittelalter mit der schwarzen Magie eng verknüpft. Sie glaubten tatsächlich, die Natur mit magischen Formeln und Handlungen beeinflussen zu können und sie wandten die natürliche Zauberkunst hauptsächlich an, um ihren Beschwörungen Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Magie befriedigt auf die Dauer nicht, wenn sie um ihrer selbst willen betrieben wird. Die sozialen Instinkte, Machttrieb, Mitteilungsbedürfnis veranlassen die Anhänger der Magie, eine Übertragung ihrer persönlichen Erlebnisse und Überzeugungen auf andere zu versuchen. Wer gewiss ist, dass die Sterne das Menschendasein beherrschen, der will nicht nur sich selbst, sondern auch anderen das Horoskop stellen. Wer das Walten der Geister gespürt hat, der will auch anderen sein Erlebnis teilhaftig werden lassen. Die Übertragungsmöglichkeit derartiger Bewusstseinsinhalte ist aber gering, weil den meisten Menschen die Anlagen fehlen, deren es zu ihrem Verstehen bedarf. Hier setzt dann der Kampf des magisch veranlagten Menschen mit der verständnislosen Umwelt ein, und in diesem Ringen ist bis auf unsere Tage zur Taschenspielerei Zuflucht genommen worden. Wir alle wünschen, dass das, was wir mit Überzeugung vornehmen, auch geglaubt werde. Wo wir dem Nachdruck verleihen können, greifen wir zu, ohne uns bewusst zu werden, wie weit die Grenze der erlaubten Kunstgriffe liegt.
Schon im frühen Mittelalter, als die Magie im wesentlichen Alchymie, Mantik, Astrologie ist, schießen Fäden zur Taschenspielerei herüber. Vor allem aber bilden die frühen Versuche eines Roger Bacon, Robert Greathead, Albertus Magnus die Grundsteine, auf denen sich die spätere Magia Naturalis aufbaut. Die natürliche Magie, die mit della Portas Schriften zum ersten Male deutlicher in die Erscheinung tritt, ist die Vorläuferin der unterhaltenden Physik und der Zauberkunst in ihrem heutigen Gewande. Denn Zauberkunst ist ja nicht nur reine Handfertigkeit, sondern daneben auch angewandte Physik, Mechanik und Chemie. So bei den Kunststücken mit Geräten und den heute so beliebten großen Bühnendarbietungen. Nun ist allerdings auch die natürliche Magie ein weites Feld, wo man neben dem Becherspiel, dem Paracelsuskunststück und dem Kartensteiger, Schönheitsmittel, Arnzeien, Küchenanweisungen, Ratschläge für die Feldbestellung findet. Diese komischen und dunklen Künste müssen natürlich ausscheiden. Jedenfalls ist unsere heutige Zauberkunst auch von der Magia naturalis beeinflusst.
Die Beziehungen zwischen Zauberkunst und Magie zeigen den Menschen in seinen Höhen und Tiefen, in seinem ewig kindlichen Hang zum Wunderbaren, zum Geheimnisvollen, zum Rätselhaften. In dem Augenblick, wo diese Erde aller Geheimnisse preis ist, wäre der Mensch dem Tiere gleich, das das Wunder nicht kennt. Die eigenartige Verflechtung der Zauberkunst mit dem Spieltrieb und der Sehnsucht nach dem Unbegreiflichen spiegelt die großen Zusammenhänge zwischen Natur und menschlichem Herrschaftsbedürfnis, zwischen Erkenntnissen und Afterwissenschaft, zwischen Glauben und Aberglauben wieder.