ZauberkünstlerInnen weniger anfällig für psychische Erkrankungen?

"Zauberer sind weniger anfällig für psychische Störungen" titelte der Spiegel vor Kurzem. Der Artikel bezieht sich auf die Studie "Psychotic and autistic traits among magicians and their relationship with creative beliefs" der Universitäten Aberystwyth University / Wales und University of North Carolina at Greensboro / USA (s u.).

Laut der Studie haben frühere Untersuchungen gezeigt, dass Angehörige kreativer Gruppen wie KomikerInnen, KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen bei psychotischen Merkmalen über der Norm liegen und dass WissenschaftlerInnen in MINT-Fächern (Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Technik) bei autistischen Merkmalen hohe Werte aufweisen.
Deshalb sollte nun untersucht werden, ob die bisher noch nicht untersuchte Gruppe der ZauberkünstlerInnen ebenfalls hohe Werte bei psychopathologischen Merkmalen und Autismus aufweisen. Dafür wurden 195 ZauberkünstlerInnen und 233 Personen aus der Allgemeinbevölkerung untersucht.

Einige Ergebnisse (z. T. vereinfacht dargestellt):
ZauberkünstlerInnen schnitten bei drei der vier Schizophrenie-Maße (kognitive [= wahrnehmungs- / verstandesbezogene] Desorganisation, introvertierte Freudlosigkeit und impulsive Unangepasstheit) schlechter ab als die Allgemeinbevölkerung. Aber sie unterschieden sich nicht in Bezug auf Autismuswerte. MagierInnen erzielten höhere Werte bei der kreativen persönlichen Identität als die Allgemeinheit und hatten häufiger die innere Überzeugung, schwierige oder herausfordernde Situationen gut meistern zu können.

Die Studie stellt weiter fest, dass nicht alle kreativen Menschen gleich geschaffen sind: "MagierInnen schnitten bei den meisten psychopathologischen Merkmalen deutlich schlechter ab als die Allgemeinbevölkerung und andere kreative Berufsgruppen. Die Vorstellung, dass kreative Menschen in hohem Maße psychotische Merkmale aufweisen oder dass eine Neigung zu Psychosen mit einer höheren kreativen Leistung einhergeht, ist weit verbreitet und wird im Allgemeinen von der Forschung unterstützt. So wurde beispielsweise festgestellt, dass Menschen, bei denen eine Schizophrenie diagnostiziert wurde, mit größerer Wahrscheinlichkeit in kreativen Berufen arbeiten." Die Studie zeigt jedoch, dass der Zusammenhang zwischen Kreativität und Auftreten von Psychosen komplexer ist. Wahrscheinlich hängt sie von der Art der kreativen Arbeit und den spezifischen Fähigkeiten und Eigenschaften ab, die für den Erfolg in diesem Bereich erforderlich sind.
MagierInnen erzielten bei der kognitiven Desorganisation (s.o.) niedrigere Werte als die allgemeine Stichprobe und andere kreative Gruppen. Menschen mit hohen Werten bei der kognitiven Desorganisation können sich nur schwer konzentrieren und leiden eher unter sozialen Ängsten. Die Arbeit von ZauberkünsterInnen erfordert aber gerade Konzentration, Detailgenauigkeit und Gelassenheit, und ein Mangel an solchen Eigenschaften wäre kontraproduktiv und würde sich nachteilig auf ihre Leistung auswirken.

Die relativ niedrigen Werte von ZauberkünstlerInnen bei schizotypischen und autistischen Merkmalen könnten für ihre Arbeit von Vorteil sein, so die ForscherInnen. Denn eine Neigung zu psychotischen und autistischen Merkmalen ist für Zaubershows im Allgemeinen kontraproduktiv. Obwohl ZauberkünstlerInnen oft isoliert arbeiten, z. B. wenn sie ihre Zauberkunststücke kreieren und üben, arbeiten sie auch regelmäßig mit anderen zusammen und knüpfen Kontakte auf und abseits der Bühne. ZauberkünstlerInnen arbeiten mit KollegInnen an der Entwicklung der Kunststücke, coachen sich gegenseitig bzw. führen gemeinsame Brainstormings durch und setzen für ihre Auftritte auf der Bühne z. T. AssistentInnen ein.

Des Weiteren gibt es auch die geschäftliche Seite der Magie. Magier müssen Auftrittsorte finden, ihre Gagen mit Clubmanagern aushandeln und oft weite Strecken zurücklegen - all das erfordert verschiedene soziale Fähigkeiten, Aufmerksamkeit und Konzentration. Für MagierInnen mit hohen psychotischen und autistischen Merkmalen ist es laut Studie viel schwieriger, all diese Feinheiten auszuhandeln.

Außerdem behaupten die WissenschaftlerInnen, dass angehende MagierInnen mit höheren Werten bei psychotischen und autistischen Merkmalen möglicherweise nicht sehr erfolgreich sind und den Beruf aufgeben, während ZauberkünstlerInnen mit Merkmalen, die die besten Erfolgschancen bieten, erfolgreich sind. Zudem müssten angehende MagierInnen (zumindest in der Vergangenheit) eine/n LehrerIn finden und diese Beziehung aufrechterhalten, um eine magische Ausbildung zu bekommen. Menschen mit einem hohen Maß an psychotischen und autistischen Zügen haben möglicherweise größere Schwierigkeiten, solche Beziehungen zu finden und zu pflegen.

Die Studie schließt mit den Worten: "Sowohl unter Laien als auch unter Ärzten ist die Auffassung verbreitet, dass viele kreative Menschen psychische Krankheiten haben und dass diese Krankheiten sie kreativer machen. Unsere Untersuchung zeigt, dass zumindest die kreative Gruppe der ZauberkünstlerInnen keine höheren Werte für psychische Störungen aufweisen. Diese Erkenntnis könnte für ForscherInnen bei der Entwicklung neuer Therapien von Interesse sein, da sie zeigt, dass der Zusammenhang zwischen Kreativität und Psychopathologie komplexer ist als bisher angenommen und dass verschiedene Arten kreativer Arbeit sowohl mit einem hohen oder einem niedrigen Grad an Psychotizismus oder autistischen Zügen in Verbindung gebracht werden können."
 

Zur Original-Studie erschienen in BJPsych Open


Veröffentlicht unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
Quelle: Psychotic and autistic traits among magicians and their relationship with creative beliefs, Gil Greengross, Paul J. Silvia and Sara J. Crasson
Gil Greengross , Department of Psychology, Aberystwyth University, Wales; Paul J. Silvia, Department of Psychology, University of North Carolina at Greensboro, USA;
Sara J. Crasson, Flavors of Magic, New York, USA
Conception of the study and acquiring the data: G.G., P.J.S. and S.J.C. Data analysis, tables and graphs: G.G. and P.J.S. Interpretation: G.G., P.J.S. and S.J.C. Drafting of the manuscript: G.G. Critical revisions and final approval: G.G., P.J.S. and S.J.C
Copyright © The Author(s), 2023. Published by Cambridge University Press on behalf of the Royal College of Psychiatrists

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