In Gedenken: Bruno Hennig – Joro

Der Magische Zirkel von Deutschland trauert um Bruno Hennig – Joro. Mit ihm hat gestern, am 6. September, ein ganz Großer die Bühne verlassen. Wir sprechen den Angehörigen unsere Anteilnahme aus.

Joro war 68 Jahre Mitglied im MZvD, seit 1999 Ehrenmitglied und wurde 2012 beim Jubiläumskongress „100 Jahre Magischer Zirkel“ mit der Ehren-Magica für das magische Lebenswerk ausgezeichnet.

In der letzten magie haben wir ihm ein Portrait zum 95. Geburtstag gewidmet. Dies können Sie in Erinnerung an Joro hier noch einmal nachlesen.
 



Er wollte schon als Kind Joro sein (aus magie 07/2023)

Der plaudernde Zauberer hält sich im Privatleben lieber im Hintergrund

Am 6. Juli feiert Joro seinen 95. Geburtstag. Er hat mich tief beeindruckt. Ich erinnere mich, dass sein Seminar eines der ersten war, das ich sah. Es war in den neunziger Jahren. Joro zeigte das Ringdurcheinander, und mir klappte zwei Mal die Kinnlade runter. Das erste Mal aufgrund dieses wahnsinnig starken Effektes. Und das zweite Mal, als er erklärte, wie er dieses Wunder geschehen ließ. Im Februar hatte ich die Ehre, Joro in seinem Zuhause in Oldenburg besuchen zu dürfen.

Von Michelle Spillner

Es ist ein kleines Häuschen, in dem er lebt. Der groß gewachsene Mann scheint gerade eben so in die Haustür zu passen, als er sie öffnet. Drinnen viel Holz, eine große Ahnengalerie mit etwa 80 Jahre alten Fotografien, auch eines vom kleinen Joro hängt dazwischen, wie er mit einem Griffel in der Hand vor einer kleinen Schreibtafel in der Schulbank sitzt. Der Pony ist akkurat geschnitten, rechts oben liegt ein aufgeklapptes Buch. Der Junge im dunklen, geknöpften Leibchen mit Kragen schaut freundlich mit wachem Blick in die Kamera. Zehn, elf Jahre mag er da vielleicht alt gewesen sein. Das Foto – zu dieser Zeit, also in den dreißiger Jahren und damit in einer Zeit, in der Fotografie etwas Besonderes war – entstand in Ostpreußen. Erst nach dem Krieg kam Joro nach Oldenburg.

Hampelmänner hängen im Esszimmer an der Wand, die sammelt er. Imposante Modelle von Segelschiffen schmücken das Wohnzimmer, die baut Joro selbst. Im ersten Stock, über eine kleine Holztreppe hinauf, findet sich sein Reich. Da gibt es rechts die Werkstatt, an deren Werkbank ganz offensichtlich viele Stunden gearbeitet wurde, gebastelt und gebaut für unterschiedlichste Kunststücke. Im Zauberzimmer nebenan stapeln sich die Becherspiele. Joro ist der Becherspiel-Experte schlechthin, hat alle Aufzeichnungen dazu auf das Genaueste studiert, hat schließlich selbst eigene Becher aufgelegt – realisiert vom letzten Metalldrücker in Wien mit Namen Seidl. Joro hat sich intensiv mit Bosco auseinandergesetzt, sich dem Klassiker nicht nur in seinem „Kleinen  Becherspielkompendium“ gewidmet und etliche Seminare dazu gegeben.

Er habe erlebt, wie er das müdeste Publikum einer anstrengenden Filmproduktion am Abend mit dem Becherspiel noch „wecken“ und begeistern konnte. Joro arbeitete für den Film „Erklärbare Wunder“. Da wurde einem kleinen Mädchen auf einem Markt die Geschichte der Zauberkunst erklärt. Joro machte für den Bosco-Darsteller die Hände. Die Dreharbeiten waren zäh. Bosco nahm ein Ei von einer Marktfrau und fragte: „Sind die Eier tutti frisch?“ Die Marktfrau entgegnet: „Ob sie tutti sind, weiß ich nicht, aber frisch.“ Dann schlug Bosco das Ei auf, und es war eine Goldmünze drin. Es waren unzählige Eier auf einer Stiege präpariert. Diese Szene allein sei von morgens um neun bis abends immer wieder gedreht worden. Dann machte Joro sein Becherspiel. „Der Applaus danach haute mich um, damit konnte ich die todmüden Leute begeistern. „Da habe ich gesehen, was für eine Wirkung das Becherspiel bis heute hat. Sie sollten es nicht vernachlässigen“.

Im Zauberzimmer hängt sein Gauklergürtel für die Becherladungen neben der Heizung. Darüber zieren unzählige Fotografien die Wand, lauter Menschen, mit denen er aufgetreten, denen er begegnet ist: Peter Frankenfeld, Heinz Erhardt fallen sofort auf. Dazwischen Urkunden für unterschiedlichste Ehrungen, und auch die Ehren-Magica für das magische Lebenswerk, die er bereits 2012 erhalten hat.

Beinahe hätte er diese Ehrung verpasst. Weil ein Baum auf die Gleise gestürzt war, brachte der Zug ihn und seinen Enkel Martin, zurück nach Oldenburg. Joro kam erst einen Tag später beim Jubiläumskongress „100 Jahre Magischer Zirkel“ an, hatte keine Ahnung von der bevorstehenden Ehrung. Kongressbesucher erzählten ihm, dass er am Tag zuvor verpasst hatte, einen Film über sich zu sehen, der den Kongressbesuchern gezeigt wurde: Wie er 1954 in Triberg seine Guillotine vorführte. Joro machte sich nichts daraus. Aber dann schien er doch überwältigt: „Und dann am Sonnabend war ein großer Galaabend. Und dann ging der Vorhang auf, und da war eine riesige Filmleinwand, und da steht der Joro drauf und führt seine wandernden Flaschen vor, riesengroß. Da war ich ja geplättet. Und dann holten sie mich auf die Bühne, naja, und dann haben sie mir die Ehrenmagica vermacht. Ich konnte sie nicht tragen. Der Pater Bickel war dann so freundlich und hat sie mit dem Auto vorbeigebracht“, erzählt Joro im Interview, das Frederik Meeterini im Juni 2014 mit ihm aufgezeichnet hat.

Eine Ehrenmagica zu bekommen, „das ist schön, aber das heißt auch, dass es jetzt zu Ende geht“, so Joro. Aber zu Ende ging da noch lange nichts. Ja, Joro ist nicht mehr so mobil und fuhr immer seltener zu Kongressen. Aber die Zauberei begleitet ihn jeden Tag. Ein großer Tisch wird von Laptop, Drucker und jeder Menge Manuskripten eingenommen. Da sitzt Joro und schreibt seine Kunststücke auf. Schon zu seinem 90. Geburtstag haben wir vermeldet, dass er für die magie weit über 120  Trickbeschreibungen verfasst hat. Das ist fünf Jahre her, seitdem sind nochmal etwa fünf Dutzend Kunststücke dazugekommen. Jedes Joro-Kunststück zeichnet sich dadurch aus, dass es sehr staunen lässt und leicht umzusetzen ist. Man darf nicht dem Irrglauben verfallen, dass die Effektstärke von der Schwierigkeit des Kunststückes abhängt. Joro ist ein Meister des Praktikablen mit hohem Unterhaltungs- und Verblüffungswert. Er schätzt einfache, klare Effekte, bei denen der Zuschauer anschließend auch noch sagen kann, worum es eigentlich ging. Damit hat er Karriere gemacht, eine so große Karriere, dass man gar nicht glauben kann, dass er noch einen Hauptberuf hatte.

Joro erzählt im Interview mit Frederik Meeterini: „Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich Zauberer werde. Ich saß in Ostpreußen bei der Bank. Ich habe immer in der Schule gedacht: Wenn ich einen Beruf ergreife, dann möglichst einen, bei dem ich nicht rechnen muss. Und schon saß ich bei der Sparkasse. Das war 1942/1944. 1945 wurde ich dann noch Soldat, und nach dem Krieg bin ich hier in Oldenburg gelandet. Da wusste ich immer noch nicht, was Zauberei ist.“ In seiner Jugendzeit habe er mal einen Conferenciér gesehen, der eine Zigarette verschwinden ließ und an der Kniekehle wieder rausholte. Das war das einzige, woran ich er sich zauberisch erinnerte. Bis zu einer denkwürdigen Mittagspause …

„Hier in Oldenburg gibt es den Kramermarkt, das ist ein kleines Oktoberfest. Bei der Bank, bei der ich arbeitete, hatte ich zwei Stunden Mittagspause und die anderen auch. Und wir liefen dann meistens in der Stadt rum. Wir hatten dann so einen Blechnapf mit, aus  dem wir gegessen haben. Da stand eine ganz kleine Bude, und der verkaufte Zaubertricks: Würfel mit sechs verschiedenen Farben, die sich drehten, einen Kellentrick. Da habe ich die ersten zwei Mark ausgegeben für die ersten Tricks. Ich lernte dann meine Frau Hilde kennen. Das war meine erste Zuschauerin. Wir saßen irgendwo auf der Bank und ich führte ihr den Kellentrick vor.“ Er hielt Kontakt mit dem Verkäufer, ging noch mehrmals an der Bude vorbei. Erfuhr, dass der Mann früher Berufszauberkünstler war und erfuhr auch, dass es Zauberhändler gab. Kataloge habe er sich bestellt. Er habe überlegt, „für 5 Mark, kann‘ste dir da zwei Tricks kaufen oder einen?“ Und dann sei da eine Münze gekommen mit einem Faden dran, die man sich über den Daumen hängen konnte, und er sei natürlich enttäuscht gewesen. Dann sagte der Verkäufer ihm, „dass es in Oldenburg eine magische Runde gibt. Das sind Herren hier aus der Oberschicht, Kaufleute und da könnte ich Sie mal einführen. Naja, und dann kam ich da rein, und war der Jüngste in der Runde. Und dann hieß es immer: Herr Hennig, zeigen Sie doch mal. Herr Hennig, zeigen Sie doch mal.“

Joro erzählt im Interview weiter: „Dann wurde ich von der Bank versetzt nach Köln, und habe dann richtig angefangen zu zaubern. Das war in den 50er, 60er, 70er Jahren. Das Fernsehen fing gerade an. 1954 habe ich – glaube ich – das erste Mal im Fernsehen mitgewirkt, im Weindorf in Köln, da war es ein Jekami-Abend. Ich habe ein Becherspiel gemacht. Die Becher mussten von der Maske extra betupft werden, weil sie zu sehr glänzten. Aluminiumbecher!!! Das passte damals noch nicht zur Kameratechnik. Meine Frau war in Oldenburg. Ich habe sie angerufen und ihr gesagt: „Morgen bin ich im Fernsehen.“ Sie sagte: „Wir haben ja gar keinen Fernseher. Aber ich weiß, in der einen Kneipe gibt es einen Fernseher, da gehe ich mal hin und schaue das an.“ Am nächsten Morgen rufe ich an und habe gefragt: „Na, haste was gesehen?“ Dann sagte sie: „Gesehen habe ich nicht viel, es flimmert so, aber ich habe dich gehört.“ Das war der erste Fernsehauftritt.

In der damaligen Zeit machte jeder Betrieb sein Betriebsfest. Da wurden ein Karnevalist engagiert, ein Zauberer und eine Tänzerin, und dann war ein Bunter Abend fertig. Da habe ich sehr oft mitgemacht. Dann habe ich mittwochs, sonnabends, sonntags gezaubert, gezaubert, gezaubert und bekam so langsam Routine. Und dann sagten die Kölner Zauberer: „Du müsstest dir eigentlich auch mal einen Künstlernamen zulegen.“ Und dann machte es bei mir klick: Ich hatte als kleiner Junge mal den Film „Tonelli“ gesehen. Das war ein Film mit Ferdinand Marian im Zirkusmilieu. Tonelli war Seiltänzer und wurde beschuldigt, seinen Partner wegen einer Frau fallen gelassen zu haben. Der war dann ein Krüppel. Und Tonelli war natürlich unschuldig, er ging dann in fremde Länder und fing ganz klein an als Zirkushilfsarbeiter. Und eines Tages fing er wieder an aufs Seil zu steigen. Und dann nannte er sich Joro – weil er mit bürgerlichem Namen Jordan hieß – und wurde weltberühmt. Und als ich jetzt auf einen Künstlernamen angesprochen wurde, da erinnert ich mich, dass ich als kleiner Junge immer gedacht habe: Wenn du mal Künstler wirst, dann nennst du dich auch Joro. Und so wurde ich Joro, der plaudernde Zauberer. (…) Dann kam Peter Frankenfeld, der hatte mich bei einem Kongress in Hamburg gesehen und dann hat er seinen Mitarbeitern gesagt „Schnappt ihn euch mal, den nehmen wir.“

Frankenfeld moderierte von 1963 bis 1974 im ZDF die Talentshow „Und Ihr Steckenpferd?“
Joro erinnert sich: „Da habe ich mit Frankenfeld gezaubert. Das war ein schönes Erlebnis. Frankenfeld hat gesagt: „Wir machen das so: Sie zaubern und ich komme und unterbreche, weil es zu viel wird. Und Sie kommen aber immer wieder, wollen immer wieder etwas zeigen, und ich gebe es dann auf und lasse Sie zaubern.“ So haben wir das dann gemacht, so ganz improvisiert. Das Schönste war: Zum Schluss kam ein Beleuchter und hat zu mir gesagt: „Sie haben es dem Frankenfeld aber mal richtig gegeben.“ Ich sach: „Wieso?“ Der Beleuchter war wohl der Meinung, dass das Spiel echt war. Wir müssen also recht gut gespielt haben.

Mit Frankenfeld war ich dann öfter unterwegs. Dann kam die erste Schiffsreise auf der Hanseatic; die alte Hanseatic, die 1966 in Amerika verbrannt ist. Dann habe ich im Schauspielhaus in Zürich gezaubert, das ist so mit meine schönste Erinnerung. Das Schauspielhaus machte nie Zauberei, es gab da nur Schauspiel. Aber es gab einen Teppichhändler in Zürich, der zauberte, und der hat es fertig gebracht, das Schauspielhaus mal für einen Abend für Zauberei zu kriegen. Und da war ein riesiger runder Orchestergraben um die Bühne. Es ging darum, arbeite ich vor dem Vorhang? Ich sagte, am liebsten würde ich ja in dem Graben – der ragte halb in den Saal hinein – arbeiten. Dann haben die mir die Guillotine dahingestellt. Das werde ich nie vergessen, ich hatte das Publikum in der Hand. Und ganz nebenbei war ich in der Garderobe von Gustav Knuth, der spielte dort Falstaff, da hingen seine Kostüme. Da hing auch der dicke Bauch von ihm, der war damals noch schlank. Das war für mich eine ganz große Ehre, dort sein zu dürfen. Dann habe ich in England gezaubert, in der Schweiz, im Thalia-Theater in Berlin und so ging es immer weiter …“

Im filmischen Interview muss Joro immer wieder ermuntert werden, weiter zu erzählen. „Ach, wenn ich das ganze Leben erzähle, dann haben wir an die drei Stunden“, winkt er zwischendurch ab.  Verblüffend ist die Diskrepanz zwischen seiner exponierten Stellung auf der Bühne und seiner  Zurückhaltung im wahren Leben. Da steht er nicht gerne im Mittelpunkt. Spricht lieber kürzer als zu lang über sich oder plaudert lieber, immer mit einem Schelm im Nacken. So auch bei meinem Besuch im Februar.

In einem olivfarbenen Sessel unter einer warm leuchtenden Stehlampe am großen Wohnzimmerfenster hat Joro Platz genommen und einen Tee serviert. Wohl beantwortet er die Fragen, wenngleich er auch gerne mal gegenfragt, warum ich das denn wissen wolle und ob das denn überhaupt interessant sei. Und, nein: „Das brauchen Sie nicht mitzuschreiben, das ist doch nicht wichtig.“ Also lege ich den Füller gehorsam weg und versuche mir so viel wie möglich zu merken. Und dann drückt er mir die DVD in die Hand: „Da ist alles drauf, was Sie brauchen.“ Neben Seminarmitschnitten unter anderem zum Becherspiel, zum Talerfang eben auch das Interview aus dem ich hier zitieren darf. Nach zwei Stunden endet der Besuch. Hinaus geht es wieder vorbei an der Ahnengalerie der Schwarz-Weiß-Fotografien. Ich verabschiede mich beseelt vom Wiedersehen, aber auch ein wenig schwer ums Herz.

Der „Grandseigneur der gepflegten Sprechzauberei, charmant, eloquent, intelligent, gutaussehend und immer mit einem Bonmot auf den Lippen (magie, Juli 2018)“ feiert 95. Geburtstag. Glückwunsch von ganzem Herzen!
 

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